Stellen Sie sich und Ihren Werdegang einmal vor.
Nach dem Abschluss meines Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt 2004 habe ich an der HHL – Leipzig Graduate School of Management über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen promoviert. 2009 habe ich dann die Juniorprofessur für Corporate Social Responsibility an der Universität Mannheim übernommen. An der betriebswirtschaftlichen Fakultät in Mannheim habe ich mich 2015 habilitiert und erhielt im gleichen Jahr einen Ruf an die Universität Vechta auf die Professur für Wirtschaft und Ethik.
Was hat Sie persönlich dazu motiviert, in dem Bereich Cultured Meat und Ernährung der Zukunft zu forschen?
Seit über zwei Jahrzehnten beschäftige ich mich mit der Frage, wie wir als Gesellschaft auf den Pfad einer nachhaltigen Entwicklung kommen können. Obgleich Nachhaltigkeit globaler Konsens ist, sind wir weit entfernt, diesen zu erreichen. Ausgehend hiervon habe ich dann in Vechta damit begonnen, mich mit der Bedeutung von disruptiven Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung zu beschäftigen. Da ich meine Forschung seit jeher immer auch an die Spezifika vor Ort ausgerichtet habe, war es nur logisch, dass ich mich im Oldenburger Münsterland mit dem Thema Agrar und Ernährung beschäftige. Ich bin dann schnell auf den Ansatz gestoßen, Fleisch nicht mehr mittels Tieren zu erzeugen, sondern auf der Ebene von Zellen. Das hohe Nachhaltigkeitspotenzial von kultiviertem Fleisch hat mich dabei von Anfang an fasziniert.
Welche Schlüsselerkenntnisse aus Ihrer Forschung haben Ihren persönlichen Umgang mit Fleisch und Alternativen beeinflusst?
In meiner Arbeit bin ich immer wieder auf das Phänomen gestoßen, dass Konsumierende nur dann nachhaltig einkaufen, wenn sie davon Vorteile haben, oder zumindest keine Nachteile. Auf den Punkt gebracht: Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn damit kein Verzicht verbunden ist. Wenn man das auf Fleisch überträgt, dann muss man anerkennen, dass Menschen den Geschmack von Fleisch lieben und nicht bereit sind, auf diesen im Namen von Nachhaltigkeit zu verzichten. Wenn wir also den durchaus großen ökologischen Fußabdruck unseres Fleischkonsums reduzieren wollen, dann brauche wir eine gute Alternative für Fleischkonsumierende. Genau dies spiegelt sich im Erfolg von pflanzenbasierten Fleischersatzalternativen wider, welche geschmacklich immer näher an den Geschmack von klassischen Fleisch- und Wurstprodukten gerückt sind.
Welche Fortschritte gibt es derzeit bei der Entwicklung von Fleischalternativen, und wie sehen Sie deren Zukunft?
Bei den pflanzenbasierten Fleischersatzalternativen gibt es den Trend, dass verstärkt auf gesundheitliche Aspekte fokussiert wird. Sie sollen also nicht nur ähnlich wie Fleisch schmecken, sondern auch Gesundheitsvorteile bieten. Spannend wird es sein, wie sich der Markt für pflanzenbasierte Fleischalternativen entwickeln wird, wenn kultiviertes Fleisch auf breiter Ebene verfügbar sein wird. Im Gegensatz zu pflanzenbasierten Alternativen ist kultiviertes Fleisch kein Imitat, sondern „echtes Fleisch“.
Welche Herausforderungen bringen Technologien wie kultiviertes Fleisch mit sich?
Neue Technologien haben grundsätzlich sowohl eine technische als auch eine soziale Herausforderung. Auf der technischen Seite geht es aktuell insbesondere darum, den Produktionsprozess zu skalieren. Mit der damit verbundenen Ausweitung des Produktionsvolumens können dann wiederum Kosten gesenkt werden. Auch bei kultiviertem Fleisch gilt, dass dies nur dann nachgefragt werden wird, wenn der Preis stimmt. Bei den sozialen Herausforderungen sind es vor allem Fragen der Akzeptanz. Der Mensch ist generell ein Gewohnheitstier und steht dem Neuen regelmäßig skeptisch gegenüber. Um Akzeptanz zu schaffen, bedarf es einer gezielten Aufklärung der Öffentlichkeit. Es geht darum, auf wissenschaftlichen Daten und Fakten basierende Informationen bereitzustellen, welche einen rationalen – und eben nicht ideologisch motivierten – Diskurs in der Gesellschaft ermöglichen.
Können Fleischalternativen dazu beitragen, globale Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Ernährungssicherheit zu bewältigen?
Auf jeden Fall. Die globale Ernährung macht etwa ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase aus, wobei wiederum der größte Posten auf tierische Proteine entfällt. Optimistische Studien kommen zu der Prognose, dass kultiviertes Rindfleisch bis zu 90 Prozent weniger Treibhausgase verursachen könnte als die konventionelle Erzeugung. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die notwendige Energie für kultiviertes Fleisch aus erneuerbaren Quellen kommt. Auch für die Ernährungssicherheit bietet kultiviertes Fleisch klare Vorteile. 2050 werden etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Wir brauchen neue Ansätze, um die steigende Weltbevölkerung mit tierischen Proteinen versorgen zu können. Zudem können mit der Technologie für kultiviertes Fleisch auch in solchen Regionen tierische Proteine erzeugt werden, in denen in Zukunft aufgrund des Klimawandels keine klassische Landwirtschaft mehr möglich sein wird.
Welche sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Wandel hin zu Fleischalternativen auf die Landwirtschaft? Wie wird sich die Wertschöpfung durch ihre Forschung ändern?
Wir sind mitten in der Zeit der technologischen Beschleunigung. Neue Entwicklungen werden über kurz oder lang das Bekannte auf den Kopf stellen. Insofern sind alle Wirtschaftszweige gut beraten, sich bereits heute mit potenziellen Veränderungen zu beschäftigen. Es ist dabei weniger wichtig, ein bestimmtes Szenario zu prognostizieren. Vielmehr geht es darum, sich damit anzufreunden, dass bestehende Geschäftsmodelle früher oder später nicht mehr in der bekannten Logik funktionieren werden. Für die Landwirtschaft folgt hieraus, dass sie sich jetzt mit Szenarien beschäftigen sollte, in denen kultiviertes Fleisch im Markt erfolgreich reüssiert. Die Landwirtschaft hat noch alle Chancen, Teil der neuen Wertschöpfungsketten zu werden. Übrigens: Meine Forschung selbst ist nicht diejenige, die Veränderungen in der Landwirtschaft bedingt. Vielmehr liefert sie wissenschaftliche Erkenntnisse, die dazu beitragen, fundierte Analysen über die Zukunft in der Agrar- und Ernährungsindustrie zu treffen. Dies kann Landwirten, Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern dabei helfen, tragfähige Strategien zu entwickeln.
Glauben Sie, dass die Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten vollständig auf Fleisch verzichten könnte?
Nein, hier sind wir wieder bei einem Punkt, der bereits zuvor angesprochen wurde: Menschen verzichten nicht freiwillig. Das Gute ist: Wenn kultiviertes Fleisch sein zugesprochenes Nachhaltigkeitspotenzial unter Beweis stellen kann, dann gibt es keinen ethischen Grund mehr, warum man auf Fleisch verzichten sollte. Anders formuliert: Kultiviertes Fleisch ermöglicht Fleischgenuss ohne schlechtes Gewissen.
Wie wird sich die öffentliche Wahrnehmung von Fleisch und Alternativen in Zukunft verändern?
Es gibt immer noch viele Menschen, die mit pflanzlichen Fleischalternativen fremdeln. Wir sehen, dass die Skepsis aber geringer wird, wenn man einmal ein gutes (!) Produkt probiert hat. Beim kultivierten Fleisch sehen wir hierzulande, dass die Menschen tendenziell skeptisch sind. Das dürfte sich langfristig ändern, wobei die Treiber hier in den Faktoren Preis, Qualität und Verfügbarkeit liegen. Irgendwann könnte es dann so sein, dass kultiviertes Fleisch die Norm ist, während konventionelles Fleisch als Luxusprodukt – oder aber auch als Minderware – wahrgenommen wird.
Welche unbeantworteten Fragen sehen Sie in Ihrer Arbeit, und welche Themen sollten in Zukunft intensiver erforscht werden? Oder welche werden komplett außer Acht gelassen?
In der aktuellen Forschung zu kultiviertem Fleisch wird die Rolle der Landwirtschaft bislang kaum berücksichtigt. Der Fokus liegt vor allem auf biotechnologischen Entwicklungen, Skalierungsfragen und regulatorischen Aspekten. Wir brauchen daher mehr Forschung, die gezielt die Chancen der Landwirtschaft in diesem Wandel beleuchtet. Welche Rohstoffe könnten Landwirte künftig für die Zellkultivierung liefern? Welche neuen Geschäftsmodelle ergeben sich, beispielsweise in der Bereitstellung von Nährlösungen oder speziellen Wachstumsmedien? Und wie lassen sich bestehende landwirtschaftliche Strukturen so transformieren, dass sie Teil dieser neuen Produktionstechnologie werden? Diese und andere Fragen werden bislang weitgehend außer Acht gelassen. Um kultiviertes Fleisch als realistische Ergänzung zur bestehenden Lebensmittelproduktion zu etablieren, muss die Landwirtschaft aktiv in den Forschungsprozess integriert werden – nicht nur als Betroffene des Wandels, sondern als potenzielle Mitgestalterin einer nachhaltigen Zukunft.
Vielen Dank für das Interview!