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Was kostet mehr Tierwohl?

Die Tierwohl-Diskussion ist alles andere als eine „dekadente“ oder „überflüssige“ Debatte. [..] Das Thema geht die ganze Gesellschaft an. – Christian Dürnberger

Dass es ein „Weiter so“ in der deutschen Tierhaltung nicht mehr geben wird, ist mittlerweile allseits bekannt. Spätestens nach der im Juni von ALDI angekündigten Offensive, dass der Discounter ab dem Jahr 2030 nur noch Frischfleisch der Haltungsformen 3 und 4 anbieten wird, hat es auch die letzten Skeptiker:innen verstehen müssen. Diese Ankündigung ist eine Konsequenz des gesellschaftlichen Diskurses rund ums Tierwohl, der sich in den letzten Jahren vollzogen hat. Doch was kostet mehr Tierwohl letztendlich?

Die Gesellschaftliche Diskussion in Bezug auf Tierwohl und Kosten

Innerhalb der Gesellschaft ist eine sogenannte Werteverschiebung zu beobachten, die einen Transformationsprozess der Landwirtschaft und besonders der Tierhaltung nach sich zieht. Haben die deutschen Landwirte jahrzehntelang in Masse produzieren müssen, so befinden wir uns in einem stetigen Umdenkprozess hin zu einer Wertegesellschaft, die sich zunehmend damit auseinandersetzt, welche Empfindungen und Bedürfnisse landwirtschaftliche Tiere haben. Die Kritik an der heutigen Tierhaltung flacht nicht ab, sondern wächst stetig an. Dadurch wächst der Wunsch vieler Konsument:innen, wissen zu wollen, wie das Tier gelebt hat, bevor es geschlachtet wurde.

Ein Produkt dieses Wertewandels ist, dass naturnahe Haltungsformen in der Gunst der Verbraucher:innen ganz vorne stehen. Die aktuell überwiegende Form der Intensivtierhaltung erhält kaum noch Akzeptanz. Der aktuelle Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bestätigt, dass nur noch 26 Prozent der Befragten täglich oder mehrmals täglich Fleisch und Wurst verzehren. Diverse Umfragen belegen, dass ein Großteil der Verbraucher:innen bereit sind, höhere Kosten für Fleisch aus einer tierwohlgerechteren Haltung zu zahlen.

Die Bürger-Konsumenten-Lücke

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Nachhaltig, regional, fair – viele von uns wünschen sich höhere Tierwohlstandards und strengeren Tierschutz in der Landwirtschaft, präferieren Weide über Stallhaltung und finden biologische Tierhaltung vorteilhafter als konventionelle. Der Marktanteil solcher Lebensmittel ist jedoch deutlich geringer als die Einstellungswerte in wissenschaftlichen Umfragen und die öffentlichen Diskussionen um diese Themen vermuten lassen.

Warum das so ist? Es handelt sich hierbei um sogenannte Inkonsistenzen zwischen Einstellungen und Verhalten von Menschen. Deshalb wird dieses Phänomen auch als Einstellungs-Verhaltens-Lücke oder auch Bürger-Konsumenten-Lücke bezeichnet.

Das kostet uns mehr Tierwohl in Deutschland

Die Mehrkosten für ein höheres Tierwohlniveau in den Stallungen liegen bei schätzungsweise knapp 2 Milliarden Euro jährlich in den ersten Jahren und dann bei 4 Milliarden Euro jährlich. Diese Kosten sollen durch Prämien und Investitionsförderung für Betriebe gedeckt werden. Um diese Finanzierung umzusetzen, wurden von der sog. „Borchert-Kommission“, einem Netzwerk aus Entscheidungsträger:innen und Fachleuten aus Politik, Praxis, Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden, drei Finanzierungsmodelle vorgeschlagen, um das Tierwohlniveau substanziell zu verbessern:

  • Die “Ergänzungsabgabe“:

Ähnlich dem Solidaritätszuschlag. Dafür würden alle Steuerzahler:innen zur Kasse gebeten werden – auch solche, die sich vegetarisch oder vegan ernähren.

  • Die Erhöhung der Mehrwertsteuer für tierische Produkte von 7 auf 19 Prozent.

Beispiel: Ein  300 g Steak würde statt 5 Euro dann  5,55 Euro kosten. Hier zahlen ausschließlich die Verbraucher:innen von tierischen Produkten.

  • Die “Tierwohlabgabe“

Hier werden pauschal 40 Cent auf das Kilogramm Fleisch aufgerechnet. Das 300 g Steak kostet statt 5 Euro dann 5,12 Euro. Auch hier würden nur diejenigen bezahlen, die tierische Produkte kaufen. Die sogenannte Tierwohlabgabe gilt als bevorzugte Finanzierungsvariante der Borchert-Kommission.

Wie entsteht der Fleischpreis?

Bessere Tierhaltung kostet Geld.

Denn für eine Änderung der Nutztierhaltung müssen neue Ställe gebaut und bestehende Ställe umgebaut werden. Mehr Platz für die Tiere bedeutet aber auch, dass auf gleicher Fläche weniger Tiere gehalten und somit weniger Fleisch erzeugt werden kann. Das heißt für die Landwirt:innen de facto weniger Einkommen. Logischerweise müssen dann auch die Preise steigen. Doch wie entsteht der Fleischpreis eigentlich?

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  • Wenn das Mastschwein schlachtreif ist, wird es an den / die Viehhändler:in bzw. die Erzeugergemeinschaft verkauft.
  • Die schlachtreifen Schweine werden zu einem Schlachthof transportiert und dort geschlachtet. 
  • Zum „Erzeugerpreis“, den die Landwirt:innen bekommen, kommen dann noch Zuschläge für bessere Fleischqualitäten oder Abschläge für schlechtere Fleischqualitäten hinzu. Zuzüglich des Schlachtgewichtes des Schweines wird dann der „Schlachterlös“ gebildet.
  • Der Schlachthof verkauft ganze Schweinehälften oder Teilstücke an ein Verarbeitungsunternehmen oder direkt an den Lebensmitteleinzelhandel
  • Folglich stellt das Fleischverarbeitungsunternehmen aus diesen Teilstücken dann z.B. Wurstwaren her.
  • Der Lebensmittelhandel bestellt seine Wurstwaren beim Verarbeiter / der Verarbeiterin und zahlt einen entsprechenden Preis.
  • Wir kaufen diese Wurstwaren dann im Lebensmitteleinzelhandel ein und zahlen den sogenannten Verbraucherpreis.

Erzeugerpreis:  Dies ist der Betrag, den der/die Landwirt:in für den Verkauf z.B. eines Mastschweines von dem/der Abnehmer:in erhält. Je mehr Vermarktungsstufen zwischen Landwirt:in und Verbraucher:in liegen, desto geringer ist der Anteil des Erzeugerpreises am Verbraucherpreis. Die Erzeugerpreise unterliegen meist starken Schwankungen z.B. durch Qualitätsaufschläge und -abschläge beim Schlachthof.

Verbraucherpreis: Der Preis, den der/die Verbraucher:in an der Supermarktkasse für das Produkt zu zahlen hat.

Was kostet mehr Tierwohl? Das sagen Expert:innen:

Achim Spiller
Prof. Dr. Achim Spiller

Hier geht es zum Interview >>

Clemens Discherl
Dr. Clemens Dirscherl

Hier geht es zum Interview >>

Christian Dürnberger
Dr. Chritian Dürnberger

Hier geht es zum Interview >>

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#farbebekennen – Unser Fazit:

Kaum etwas kämpft momentan mehr an seiner Daseinsberechtigung als die Nutztierhaltung. In den letzten Jahren hat die gesellschaftliche Kritik so stark zugenommen, dass immer mehr Menschen neue Haltungssysteme fordern. Denn: In der derzeitigen Haltung wird besonders das Wohlergehen der Tiere in Frage gestellt. Hinzu kommen andere Probleme, wie das stark gestiegene Gülleaufkommen in tierreichen Regionen oder der Antibiotikaeinsatz. Für eine tiergerechtere und umweltschonendere Weiterentwicklung der Nutztierhaltung kommt es besonders darauf an, welchen Beitrag Staat, Wirtschaft und Gesellschaft jeweils leisten können. Die Herausforderung, lässt sich nicht von oben herab in einem einzigen großen Schritt erzwingen. Tierwohl lässt sich am besten durch einen langwierigen aber gemeinsam geschulterten Prozess tragen lässt. So ziehen Landwirt:innen und durch das Engagement des beteiligten Handels auch die Verbraucherinnen an einem Strang. Aktuell fehlen die politischen Rahmenbedingungen, um den gesellschaftlichen Willen nach mehr Tierwohl in der Branche und speziell auf den landwirtschaftlichen Betrieben umzusetzen.


Quellen:

Albersmeier, F., Spiller, A. (2009); Die Reputation der Fleischwirtschaft in der Gesellschaft: Eine Kausalanalyse; Vortrag 49. GEWISOLA.

BMEL Ernährungsreport (2020).

Busch, G., Spiller, A. (2020); Warum wir eine Tierschutzsteuer brauchen – Die Bürger-Konsumenten-Lücke; Positionspapier; Diskussionspapiere der GAU Göttingen; Diskussionsbeitrag 2001.

Dürnberger, C. (2020); Ethik für die Landwirtschaft: Das philosophische Bauernjahr; ISBN-13 979-8637671571.

Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (Stand: 20.08.2021)

Enneking, U. (2019); Kaufbereitschaft bei verpackten Schweinefleischprodukten im Lebensmitteleinzelhandel ? Realexperiment und Kassenzonen-Befragung; 2019.

i.m.a  information.medien.agrar. e.V.; 2020.

ISN: Fleischpreis-Index: Was kostet Fleisch eigentlich weltweit? (Stand: 27.09.2021)

Sonntag, W., Ermann, M., Spiller, A., von Meyer-Höfer, M. (2020); Im Streit um die Nutztierhaltung: Gesellschaftsorientierte Kommunikationsstrategien für die Agrar- und Ernährungswirtschaft;  GJAE 70 (1): 1-16.

Spiller, A., von Meyer-Höfer, M., Sonntag, W.  (2016); Gibt es eine Zukunft für die moderne konventionelle Tierhaltung in Nordwesteuropa?; Diskussionspapiere der GAU Göttingen; Diskussionsbeitrag 1608.

Zühlsdorf, A., Kühl, S., Gauly, S., Spiller, A. (2018); Wie wichtig ist Verbrauchern das Thema Tierschutz? Präferenzen, Verantwortlichkeiten, Handlungskompetenzen und Politikoptionen. Kommentiertes Chartbook zur Umfrage im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. (vzbv).

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