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Interview

Wer zahlt für mehr Tierwohl?

Prof. Dr. Achim Spiller

Was sagt der Wissenschaftler?

Das Verhalten und das Handeln von Konsument:innen ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Beantwortung auf die Frage „Wer zahlt für mehr Tierwohl?“. Rede und Antwort steht uns zu diesem Thema Herr Prof. Achim Spiller von der GAU in Göttingen, dessen Studien zu Verbraucher:innenumfragen vielfach zitiert werden.

Herr Prof. Spiller, welche Kriterien spielen für Verbraucher:innen beim Einkauf von Fleisch eine maßgebliche Rolle?

An erster Stelle Geschmack, dann kommen Themen wie Tierwohl, keine Rückstände, Regionalität, frisch und gesund. Langsam kommt bei einem Teil der Verbraucher:innen auch das Thema Klimaschutz und Fleisch auf.

Warum sind Verbraucher:innen laut Umfragen bereit, mehr für Tierwohl auszugeben, dies spiegelt sich jedoch nicht im Kaufverhalten wider? Welche Zielkonflikte entstehen an der Fleischtheke?

Über Jahrzehnte war das Tierwohl für Verbraucher:innen am Produkt nicht erkennbar. Begriffe wie artgerecht, tierfreundlich usw. können bis heute ungeregelt verwendet werden, so dass die Kunden keine Chance haben, hohle Werbeversprechen von wirklich engagierten Anbietern zu unterscheiden.

Die vorhandenen Label wie das des Deutschen Tierschutzbundes „Für mehr Tierschutz“ waren noch nicht bekannt genug und nur begrenzt im Handel vertreten. Er seit Kurzem gibt es jetzt mit der Haltungskennzeichnung eine flächendeckende Kennzeichnung zumindest für SB-Ware. Was es immer im allerdings sehr eingeschränktem Umfang gab, ist Bio, aber Biofleisch ist für viele Kunden zu teuer mit Preisaufschlägen von 200-300 Prozent.

In unseren Befragungsstudien konnten wir auch klar erkennen, dass viele Verbraucher: innen bei Preisen von über 20 Euro für ein kg Bio-Schweine- oder Geflügelfleisch nicht mehr mitgehen. Da sind relevante Preisschwellen überschritten. Ein weiterer Grund für den Unterschied zwischen Bürgereinstellungen und Verbraucherverhalten, den wir in der Forschung als Consumer-Citizen-Gap bezeichnen, ist, dass die besonders am Tierwohl orientierten Menschen weniger Fleisch essen und umgekehrt. Und schließlich gibt es nicht wenige Menschen, die beim Fleischkauf gar nicht an das Tier denken mögen, also Tod und Schlachtung psychologisch gesehen verdrängen. Es zeigt sich damit, dass ein Teil dieser Bürger-Verbraucher-Lücke durch bessere Kennzeichnung und Strategien aus der Nische verringert werden kann, aber nicht alles. Veganer:innen und Vegetarier:innen, die bei jungen Erwachsenen schon gut 12 Prozent ausmachen, formulieren eben auch Tierschutzforderungen, werden aber am Markt nichts beitragen.

Die Schlussfolgerung daraus ist, dass der Markt alleine das Tierwohlproblem nicht lösen kann. Da hilft auch die bei vielen Landwirt:innen beliebte “Verbraucherschelte“ nichts. Es bedarf übergreifender Instrumente von Politik und Branche.

Es wird oft suggeriert, dass der Handel auf Grund des geringen Fleischpreisniveaus „daran schuld ist“, dass die Wertschätzung der Verbraucher:innen gegenüber Fleischprodukten sinkt. Wie sehen Sie das?

In der Tat ist Fleisch eines der klassischen Lockvogelangebote des Handelsmarketings. Die Verbraucher:innen kennen hier die Preise ganz gut, Fleisch ist auch absolut gesehen teuer. Das Produkt eignete sich daher gut, um im Zuge der Mischkalkulation Kunden in die Supermärkte zu locken, die im Wettbewerb mit den Discountern ihre Preisgünstigkeit unter Beweis stellen wollen. Diese klassische Form der Sonderangebotspolitik mit „Schweinebauchanzeigen“ verliert langsam an Bedeutung, weil ein wachsender Teil der Kunden, gerade der mit hohem Einkommen, nicht mehr das Geschäft wechselt, um dort billiges Fleisch kaufen zu können. Unsere Studien zeigen, dass die Kundengruppe mit Qualitätsfokus heute mindestens genauso groß ist wie die der Schnäppchenjäger. Qualitätsmarketing gewinnt daher an Bedeutung im Handel. Aber die langjährige Konditionierung der Verbraucher:innen auf den Preis hinterlässt natürlich immer noch Spuren. Insofern trägt der Handel schon eine Mitschuld an der starken Preisorientierung auf dem Fleischmarkt.

Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit ein Mehr an Tierwohl langfristig gegeben ist?

Die Landwirtschaft wird den notwendigen Umstieg auf tierfreundliche und gesellschaftlich akzeptierte Haltungsformen nicht alleine stemmen können. Durch die Bürger-Verbraucher-Lücke funktioniert eine Finanzierung allein über den Markt nicht, auch wenn die Selbstverpflichtungen der Händler ein ganz wichtiger Schritt sind. Der Ball liegt jetzt in erster Linie bei der Politik und bei den Schlachtunternehmen. Eine neue Bundesregierung sollte an dem politisch breit getragenen Vorschlag der Borchert-Kommission ansetzen und diesen endlich auf den Weg bringen, damit die staatliche Finanzierung, aber auch die Tierschutzkennzeichnungsfrage geklärt sind. Und die Schlachtunternehmen müssen jetzt langfristige Verträge mit verlässlichen Preismodellen anbieten, damit die Landwirtschaft investieren kann.  

Wie kann ich als Verbraucher:in zu mehr Tierwohl beitragen?

Fleisch und Wurst aus möglichst hohen Tierwohlstufen kaufen: 3 oder noch besser 4. Diese Produkte auch in der Gastronomie, in der Kantine und bei Wurst nachfragen. Wenn nicht vorhanden, vielleicht einmal eine E-Mail an die Händler oder Hersteller schreiben, das wirkt auch gut. 

Wie kann Tierwohl zukünftig finanziert werden? Welches Modell erachten Sie als sinnvoll?

Es ist eine der spannendsten und schwierigsten Fragen, welcher Anteil der Finanzierung über den Markt und welcher über staatliche Zuschüsse erfolgen soll. Die Borchert-Kommission schlägt eine komplette Finanzierung aller Tierwohlmehrkosten über langfristige Verträge zwischen Staat und Landwirtschaft vor. Ich denke nach wie vor und trotz der Selbstverpflichtungen von Aldi & Co., dass staatlich garantierte Zahlungen und Investitionshilfen zentral sind. Vielleicht kann man dann im Laufe der Zeit den Handel und die Verbraucher: innen mehr in die Finanzierung einbinden. Letztlich bezahlt es der Verbraucher natürlich immer: Im Vorschlag der Borchert-Kommission über Steuern/Abgaben, sonst über den Mehrpreis an der Ladentheke. Da aber Frischfleisch nur ein Drittel des Marktes ausmacht und es schwieriger ist, Verarbeitungsware und den Außer-Haus-Markt einzubinden, muss der Staat eine wichtige Rolle spielen.

Die Ankündigung von Aldi Nord und Aldi Süd ab dem Jahre 2030 nur noch Frischfleisch der Haltungsformen 3 und 4 zu listen, ist medial intensiv thematisiert worden. Welchen Einfluss hat diese Entscheidung auf die Lösungsansätze der Borchert-Kommission? Sind diese nun überholt und es wird zu einer rein marktlichen Lösung kommen?

Eine rein marktliche Lösung ist angesichts der Größe der Umstellung wahrscheinlich eine Überforderung. Die Verunsicherung in der Landwirtschaft ist derzeit riesengroß. Wo geht der Markt hin? Wie viele Menschen werden sich zukünftig vegetarisch ernähren? Wie werden sich die pflanzlichen Ersatzprodukte und in-vitro-Meat entwickeln? Darauf hat niemand heute verlässliche Antworten. Aber die Landwirt: innen sollen investieren bei 25 Jahren Abschreibezeitraum. Eine solche große Transformation können Unternehmen wie VW oder RWE stemmen mit ihren Milliardengewinnen. Zu erwarten, dass dies zehntausende landwirtschaftliche Familienbetriebe auch so einfach riskieren werden, ist wenig realistisch. Die Politik wird eine tragende Rolle in dieser Transformationsphase spielen müssen, um Verlässlichkeit zu geben.

Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich für die Ausrichtung von Wirtschaft und Politik?

Die neue Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen. Die Zukunftskommission (ZKL) hat aber mit ihren einstimmigen Empfehlungen einen wichtigen Plan vorgelegt, um aus den bisherigen Grabenkämpfen herauszukommen. Ich würde mir wünschen, dass sich der nächste Koalitionsvertrag dieser Blaupause annimmt. Borchert-Kommission und ZKL empfehlen beide, dass letztlich mehr Geld in den Sektor kommen muss. Die ZKL spricht deshalb im Titel auch von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Nicht alle in der Landwirtschaft sind aber bisher davon überzeugt. Es gibt noch viel Misstrauen, ob diese Transformation gelingen kann. Umso wichtiger sind klare politische Ausrichtungen. 

Eine abschließende Frage der allgemeineren Art: Ist die gesellschaftliche Diskussion um mehr Tierwohl eine Wohlstandsdiskussion?

Klar, im positiven Sinne. Wir sind wohlhabend genug, uns nicht nur um soziale Fairness unter Menschen, sondern auch um das Wohl der Tiere kümmern zu können. Durch die zunehmende Verbreitung von Haustieren, aber auch durch die neuen Erkenntnisse zu den kognitiven, emotionalen Fähigkeiten von Tieren verändert sich das Mensch-Tier-Verhältnis in der Gesellschaft langsam, aber grundlegend. Wir haben in unseren Studien festgestellt, dass 85 % der Menschen die Nutzung von Tieren mitträgt, aber eine Art indirekten Vertrag mit dem Tier zugrunde legen will: „Wir dürfen dich essen, aber du musst vorher auch etwas vom Leben gehabt haben.“ Daher der Wunsch nach der glücklichen Kuh. Das ist doch letztlich auch gut für die Landwirtschaft, denn Landwirt:innen haben auch mehr Spaß an ihrer Arbeit, wenn es den Tieren gut geht. Wir müssen über Politik und Marketing dafür sorgen, dass diese Wünsche sich auch in Preisen und Zahlungsbereitschaften für Tierschutzabgaben niederschlagen.

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