Stell dich bitte einmal kurz unseren Lesern vor.
Mein Name ist Dr. Dorothee Schulze Schwering. Ich bin 33 Jahre alt und auf einem landwirtschaftlichen Betrieb im schönen Münsterland aufgewachsen. Nach einem aufregenden Auslandjahr auf einem Milchviehbetrieb in Irland habe ich Agrarwissenschaften an der Hochschule Rhein-Waal und der Georg-August Universität Göttingen studiert. Während meines Studiums und meiner Promotion habe ich mich bereits intensiv mit innovativen Themen wie dem digitalen Agrarhandel und Smart Farming Technologien beschäftigt und dabei immer Wert auf einen engen Praxisbezug gelegt.
Seit September 2022 bin ich als Innovationsmanagerin bei der Landwirtschaftskammer NRW tätig. Diese Position wurde neu eingerichtet, um ein Ökosystem zu schaffen, in dem Innovationen und die landwirtschaftliche Praxis besser zusammenfinden können. Eine spannende, abwechslungsreiche Aufgabe, denn Innovationen werden die Zukunft der Landwirtschaft gestalten.
Was genau macht eigentlich eine Innovationsmanagerin bei der Landwirtschaftskammer?
Als Innovationsmanagerin schaue ich mir neue Trends, Märkte und Innovationen an und fungiere dann als Schnittstelle für die praktische Landwirtschaft, für Forschung & Entwicklung, für die Startup-Szene, aber auch als interne fachbereichsübergreifende Schnittstelle. Der Markt ist dynamisch und entwickelt sich oft sehr schnell über mehrere Fachdisziplinen, sodass landwirtschaftliche Betriebe, aber auch unsere spezialisierte Fachberatung, diese Innovationen nur schwer frühzeitig erkennen und bündeln können.
Daher identifiziere ich aktuelle Innovationsfelder, d. h. ich schaue, was am Markt los ist und mache ggf. eine Potenzialanalyse. Außerdem baue ich ein Innovationsnetzwerk auf, denn Innovationen brauchen den Dialog und ein breites Netzwerk. Hier geht es darum, bereits vorhandenes Wissen zu suchen und zu bündeln. Schließlich ist es immer gut zu wissen, wo jemand sitzt, der etwas weiß. Zu meinem dritten Aufgabenbereich zählt natürlich auch der Wissenstransfer, bei dem über verschiedene Formate, wie Seminare oder Exkursionen, Innovationsthemen vorgestellt werden. Hiermit möchten wir den Betrieben Inspirationen für neue Konzepte liefern. Besonders wichtig ist aber natürlich die Umsetzung. Mit der Kombination aus unserem aufgebauten Innovationsnetzwerk und dem diversifizierten Team der Landwirtschaftskammer, können wir Betriebe in ihrem Innovationsprozess aktiv unterstützen.
Was hat dich dazu motiviert diesen Weg einzuschlagen?
Wie eingangs schon gesagt, bin ich davon überzeugt, dass eine zukunftsfähige Landwirtschaft Innovationen, also neue Technologien und Geschäftsmodelle, braucht. Daher ist es wichtig, dass man Innovationen frühzeitig erkennt und kommuniziert, um sie optimal auf die Bedarfe der Landwirtschaft und unserer Gesellschaft abtzustimmen und schließlich für alle Beteiligten zum Erfolg zu bringen. Dies hat auch die Landesregierung erkannt und unterstützt mit der Landesinitiative „Innovative Betriebskonzepte für landwirtschaftliche Unternehmerfamilien“ das Innovationsmanagement. Die neu geschaffene Position des Innovationsmanagements der Landwirtschaftskammer hat mich daher sehr gereizt. Zum einen konnte ich hier ein neues Tätigkeitsfeld der LWK aufbauen und zum anderen sitze ich nah dran, an den Betrieben und an der Innovationsentwicklung. Es ist jeden Tag spannend, die Innovationskraft unseres Agrar- und Ernährungssektors hautnah mitzuerleben.
Welche Herausforderungen begegnen dir?
In meinem Alltag treffe ich auf vielfältige Herausforderungen, die ich versuche als Impulse zur Weiterentwicklung zu nutzen.
Eine Herausforderung ist sicherlich, die zahlreichen Innovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Blick zu halten. Die Landwirtschaft, mit den vor- und nachgelagerten Bereichen, ist ein komplexes System und es ist entscheidend, dass alle Akteure – von den Produzenten bis zu den Verbrauchern – in den Innovationsprozess einbezogen werden.
Bei meiner Arbeit erlebe ich zudem immer wieder, wie wichtig meine „Übersetzungstätigkeit“ ist, um die verschiedenen Akteure auf eine gemeinsame Ebene zu bringen. Oft sprechen Landwirtinnen und Landwirte, Forschende und Unternehmen unterschiedliche Sprachen und haben unterschiedliche Perspektiven. Hier ist es wichtig, Brücken zu bauen und ein gemeinsames Verständnis zu fördern. Am Ende möchten wir doch Lösungen, für echte Bedarfe auf den Betrieben liefern.
Zusätzlich bindet der Alltag in der Landwirtschaft viele Ressourcen, was bedeutet, dass den Betrieben nicht genügend Zeit und „Muße“ bleibt, um sich für Innovationen zu öffnen. Die täglichen Herausforderungen können es schwierig machen, den Blick für neue Möglichkeiten zu schärfen. In der Natur der Sache liegt auch, dass Innovationen immer ein gewisses Risiko mit sich bringen. Fertige Businesspläne sind in der Regel nicht vorhanden, und es erfordert von den Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern Mut und Leidenschaft, Neues auszuprobieren. Diese Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist entscheidend, um Fortschritt zu erzielen.
Die Herausforderungen sollten uns aber nicht bremsen, sondern sollten uns anspornen! Unsere Zusammenarbeit ist der Schlüssel, um positive Veränderungen zu bewirken und neue Wege zu gehen.
Welche aktuellen Trends siehst du in der Landwirtschaft als besonders prägend an?
Es ist schwierig, das zu verallgemeinern, weil die Betriebe sehr individuell aufgestellt sind. Zu den aktuellen Schlagworten zählen sicher Nachhaltigkeit, Digitalisierung, künstliche Intelligenz oder Kreislaufwirtschaft. Aufkommende Fragestellungen zu digitalen Anwendungen oder Automatisierung, werden schwerpunktmäßig vom Zentrum für Digitalisierung auf Haus Düsse bearbeitet, mit welchem ich in einem engen Austausch stehe.
Ansonsten beschäftigen innovative Umnutzungskonzepte viele Betriebe ebenso wie alternative Produktionszweige (z.B. neue Kulturen oder Produktionssysteme), neue Bewirtschaftungsformen oder innovative Vermarktungs- und Verarbeitungsformen. Ich schaue mir die ganze Wertschöpfungskette an und bin im Bereich der Nischenkulturen und ihrer Vermarktung unterwegs. Dabei muss ich vorher wissen, ob es einen Markt für eine bestimmte Produktidee gibt. Derzeit befassen wir uns z. B. mit der Anbau von Nutzhanf oder Bambus. Auch im Bereich Bioökonomie tut sich viel. Dabei geht es darum, mit welchen Nebenströmen sich möglichst viel Wertschöpfung auf dem Betrieb schaffen lässt. Neue Produktionsmethoden wie Fermentation, Insektenzucht oder Indoor Farming schaue ich mir ebenfalls an. Viele der Konzepte stehen häufig noch ganz am Anfang und ich bin gespannt, wo die Reise hingeht.
Welche Trends beobachtest du in der globalen Landwirtschaft, die sich auf unsere Landwirtschaft auswirken könnten?
Global stehen wir natürlich erstmal vor der Herausforderung des Bevölkerungswachstums (knapp 10 Milliarden bis 2050). Aber auch der Klimawandel ist eine globale Herausforderung. So haben wir einerseits immer mehr Extremwetterereignisse und andererseits ergeben sich daraus neue Chancen durch z. B. den Anbau von Südkulturen in Deutschland. So werden Wein und Oliven mittlerweile auch in NRW angebaut. Eng verbunden mit dem Klimawandel und dem Druck durch das Bevölkerungswachstum ist aber auch das Thema Biodiversität, also der Erhalt des Artenreichtums.
Diese Herausforderungen erfordern innovative Ansätze in der Landwirtschaft, um die Produktivität zu erhöhen, ohne zusätzliche Flächen zu beanspruchen. Dazu gehören ebenso digitale Lösungen zur präzisen Anwendung von beispielsweise Düngemitteln, sowie die Entwicklung von klimaresilienten Pflanzen. Das erfordert auch ein Umdenken, denn es geht nicht nur darum, mehr zu produzieren, sondern vor allem darum effizienter und nachhaltiger mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Innovationen und Investitionen in Forschung & Entwicklung sind entscheidend, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern und eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion zu gewährleisten, um damit die Landwirtschaft zu stärken.
Vor welchen Herausforderungen steht die Landwirtschaft besonders, wenn es um Innovationen geht?
Die aktuelle wirtschaftliche Instabilität, bedingt durch u. a. politische Unsicherheiten und Inflation, stellt eine Herausforderung für die Landwirtschaft dar, wenn es darum geht, in neue Technologien zu investieren. Einigen Betrieben fehlt zudem der Zugang zu Innovationen in Form von Informationen, finanziellen Mitteln oder unzureichender Infrastruktur.
Zusätzlich bremsen strenge Vorschriften und langwierige Genehmigungsprozesse die Einführung neuer Methoden erheblich. Diese bürokratischen Hürden schrecken einige Betriebe ab, innovative Ansätze zu verfolgen. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz spielt eine entscheidende Rolle. Themen wie Pflanzenschutz und intensive Tierhaltung sind oft umstritten und öffentliche Skepsis kann die Bereitschaft zur Innovation beeinträchtigen.
Ein entscheidender Faktor ist das Mindset der Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter. Skepsis gegenüber neuen Technologien ist durchaus verbreitet, insbesondere wenn die Rentabilität unklar ist. Doch genau hier liegt auch die Chance! Risikobereitschaft und Mut sind unerlässlich, um innovative Wege zu beschreiten, deren Erfolg noch ungewiss ist.
Zudem fehlt es häufig an Schulungsprogrammen, die Landwirtinnen und Landwirte in der Anwendung neuer Technologien unterstützen. Selbst die besten Innovationen können nicht ihr volles Potenzial entfalten, wenn das nötige Know-how fehlt. Ein weiterer Aspekt ist die Integration neuer Technologien in bestehende Betriebsstrukturen. Eine gute Planung ist entscheidend, um die Effektivität des gesamten Betriebs zu gewährleisten.
Manchmal muss man einfach anfangen und Neues wagen! Es mag nicht immer sofort klappen, aber wer dranbleibt, wird letztlich belohnt.
Welche Rolle spielt hierbei der Staat oder der öffentliche Sektor bei der Förderung von Innovationen?
Der Staat und der öffentliche Sektor müssen natürlich grundlegend die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich Innovationen entwickeln können. Die Landwirtschaftskammer NRW hat, als öffentliche Einrichtung, bereits ein Innovationsmanagement implementiert. So kann die Entwicklung von Innovationen besser am Bedarf der Landwirtschaft ausgerichtet werden. Es fördert eine praxisnahe Unterstützung und den Austausch zwischen Forschung, Wirtschaft, Startups, Politik und Landwirtschaft.
Zudem gibt es natürlich auch einige Bundes- und Landesprogramme, die die Innovationsentwicklung in der Land- und Ernährungswirtschaft fördern, wie z. B. Deutsche Innovationspartnerschaft Agrar (DIP), die Europäische Innovationspartnerschaft (EIP Agri), Start-up-Programme oder das Programm zur Innovationsförderung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Welche Technologien oder Tools nutzt du, um Innovationen voranzutreiben?
Um Innovationen voranzutreiben, ist das Netzwerken das entscheidendste Werkzeug – ohne ein starkes Netzwerk gibt es keine Innovation. Technologie- und Trendradars helfen dabei, aktuelle Innovationsfelder zu identifizieren und auf dem neuesten Stand zu bleiben. Wir bieten Seminare, Workshops und Exkursionen an, um Innovationen vorzustellen und den Austausch untereinander zu fördern. Regemäßige Formate wie der InnovationTalk und Newsletter halten alle Beteiligten über aktuelle Entwicklungen informiert. Zudem sind soziale Medien wichtig, um Informationen zu teilen und Sichtbarkeit für Projekte oder Innovationsfelder zu schaffen. Um neue Perspektiven zu gewinnen und frischen Input für die Innovationsentwicklung zu erhalten, hilft zudem der Besuch von Veranstaltungen, insbesondere branchenübergreifende/branchenfremde Veranstaltungen.
Welcher Bereich hat sich in den letzten Jahren am meisten verändert? Welcher Bereich wird sich deiner Meinung in Zukunft noch am meisten wandeln?
In Zukunft wird sich meiner Meinung nach der Bereich der nachhaltigen Technologien am stärksten wandeln. Angesichts der drängenden Herausforderungen des Klimawandels und der Notwendigkeit, umweltfreundliche Lösungen zu finden, wird die Nachfrage nach innovativen Ansätzen in der Energieerzeugung, Landwirtschaft und Industrie weiter steigen. Technologien wie erneuerbare Energien, nachhaltige Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Aber auch die gesellschaftlichen Anforderungen mit einem veränderten Konsumverhalten haben bereits deutliche Veränderungen hervorgerufen und werden auch in Zukunft die landwirtschaftliche Produktion prägen, z. B. mit Produktion von pflanzenbasierten Lebensmitteln. Diese Veränderungen erfordern aber nicht nur technologische Innovationen, sondern auch eine Anpassung der Arbeitskräfte an neue Fähigkeiten und Kompetenzen.
Welche Ziele sollte die Landwirtschaft im Innovationsmanagement haben?
Generell geht es bei Innovationen ja darum für Landwirte, Verbraucher und unsere Erde echte Mehrwerte zu schaffen. Aus Perspektive der Landwirtschaft zielt das Innovationsmanagement darauf ab, für landwirtschaftliche Betriebe innovative und gleichzeitig praktikable Lösungen und Geschäftsmodelle zu finden, um die Betriebe auf Zukunftskurs zu halten. Am Ende geht es immer um ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Geschäftsmodell für die Betriebe.
Wer kann sich denn mit welchen Fragen und Anliegen direkt bei Dir melden?
Das Thema ist unglaublich vielfältig und ich freue mich über jede Anfrage mit innovativen Ideen und Ansätzen. Egal ob Landwirtschaft, Wirtschaft, Forschung oder Startup – Jeder ist herzlich eingeladen, sich zu melden – gerne auch informell oder in kurzen Worten, es muss kein ausgereiftes Konzept sein. Oft hören Landwirtinnen und Landwirte von einer Idee und benötigen eine Einschätzung dazu. In solchen Fällen können sie sich jederzeit an mich wenden und ich helfe gerne weiter oder stelle Kontakte her. Häufige Fragen, die ich von Betrieben höre, sind: „Ist das etwas für mich?“, „Was gibt es dazu schon?“ oder „Macht das schon jemand?“
Auch aus der Industrie und von verschiedenen Verbänden wird der Kontakt gesucht, um eine Schnittstelle zur Landwirtschaft zu bilden. Besonders wichtig ist mir dabei ein branchenübergreifender Blick. So wissen wir beispielsweise, dass in der Bauindustrie nachhaltige Baustoffe gefragt sind oder dass einige Nebenströme der Landwirtschaft im Rahmen der Bioökonomie neue Verwendung finden können. Hier kann ich die Schnittstelle schaffen.
Welche Tipps hast du, um auf neue Ideen zu kommen?
Wir bieten durch verschiedene Formate inspirierende Einblicke und präsentieren konkrete Innovationen. Dabei ist jede Entwicklung einzigartig und individuell auf den Betrieb zugeschnitten – Innovationen sind nicht einfach im „Katalog“ zu finden. Deshalb ist es wichtig, offen zu sein und den Perspektivwechsel zu wagen. Wenn wir die „Agrarbrille“ absetzen und auch in andere Bereiche blicken, können wir neue Impulse und Ideen entdecken, die sich wunderbar anpassen lassen.
Es gibt zahlreiche Suchfelder und Orte, an denen man nach Ideen stöbern kann. Manchmal erfordert es, die Komfortzone zu verlassen, um in die aufregende Welt der Innovationen einzutauchen. Dieser Schritt hilft, eine Fülle von Ideen zu generieren, aus denen wir dann die besten auswählen können.
Vielen Dank für das Interview!