Könnten Sie sich einmal vorstellen und Ihre Tätigkeit bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
Mein Name ist Dr. Marc-Alexander Lieboldt. Ich bin Tierarzt und arbeite seit Sommer 2020 bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Gestartet bin ich damals als Projektkoordinator des Experimentierfeldes DigiSchwein, einem vom BMEL geförderten Verbundprojekt zur Entwicklung und Erprobung sensorbasierter Frühwarn- und Entscheidungshilfesysteme für schweinehaltende Betriebe. Im Dezember 2022 durfte ich die Leitung des Fachbereiches Tierzucht, Tierhaltung, Versuchswesen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen übernehmen. Mit ca. 60 Mitarbeitenden steht der Fachbereich den niedersächsischen Tierhalterinnen und Tierhaltern, dem Agri-Food-Sektor sowie Verbänden und Ministerien bei allen Fragen rund um die Zucht und Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere beratend zur Seite. Im Rahmen zahlreicher Projekte, Versuche und Erprobungen erhebt der Fachbereich, oftmals in Kooperation mit Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis, Zahlen, Daten und Fakten zu aktuellen Fragestellungen der Tierhaltung. Diese Erkenntnisse finden fortlaufend Eingang in die Beratungs- und Bildungsangebote der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Nebenamtlich bin ich zudem als Tierschutzbeauftragter an der Landwirtschaftskammer Niedersachsen tätig.
Wir wollen heute aus aktuellen Gründen über die Geflügelpest sprechen, was ist die Geflügelpest überhaupt und wo kommt das Virus her? Gibt es Unterschiede zu anderen Tierseuchen?
Die Geflügelpest, auch bekannt als Vogelgrippe oder Aviäre Influenza (kurz: AI), beschreibt eine hochansteckende Viruserkrankung, die vor allem Hühner und Puten, aber auch zahlreiche weitere Vogelarten betreffen kann. Sie wird durch Influenza-A-Viren verursacht, von denen es verschiedene Subtypen gibt, wie z. B. H5N1 und H5N8. Diese Subtypen variieren in ihrer Pathogenität, d. h. in ihrer Fähigkeit, schwere Krankheiten zu verursachen. Das Geflügelpest-Virus stammt ursprünglich aus Wildvögeln, v. a. Wassergeflügel wie Enten und Gänse, die als natürliche Wirte für das Virus dienen und dieses i. d. R. symptomlos in sich tragen (sog. Reservoirwirte). Aviäre Influenzaviren kommen weltweit vor. In Deutschland zählt die Geflügelpest zu den anzeigepflichtigen Tierseuchen und wird staatlich bekämpft.
Die Geflügelpest unterscheidet sich in mehreren Aspekten von anderen Tierseuchen, u. a. in puncto Erreger, Wirtsspezifität und zoonotisches Potential. Während die Geflügelpest durch Influenzaviren verursacht wird und primär Vögel betrifft, können andere Tierseuchen auch durch Bakterien, Parasiten oder weitere Viren verursacht werden und andere Tierarten betreffen. Zum Beispiel handelt es sich bei der derzeit auch sehr aktuellen Blauzungenkrankheit um eine virusbedingte Tierseuche, die bei Wiederkäuern auftritt und durch blutsaugende Gnitzen übertragen wird (sog. vektorübertragende Tierseuche). Milzbrand und Brucellose sind Beispiele für Bakterien verursachte Tierseuchen. Einige Subtypen der Geflügelpest, insbesondere H5N1, besitzen ein zoonotisches Potential und können auf den Menschen übertragen werden und bei diesem zu schweren Erkrankungen führen. Damit unterscheidet sich die Geflügelpest zum Beispiel sehr deutlich von der Afrikanischen Schweinepest oder der Blauzungenkrankheit, die nicht auf den Menschen übertragbar sind und damit für diesen keine Gefahr darstellen.
Was sind die Symptome der Geflügelpest und wie und an wen wird die Erkrankung übertragen? Zuletzt gab es einen Ausbruch bei Milchkühen in den USA, welche Nutztiere können noch betroffen sein?
Die Symptome der Geflügelpest können stark variieren, abhängig von der Virulenz des spezifischen Subtyps des Influenzavirus und der betroffenen Vogelart. Grundsätzlich wird zwischen hochpathogenen und niedrigpathogenen Subtypen unterschieden. Unter den Vogelarten gelten Hühnervögel als besonders empfänglich für die Infektion mit dem Geflügelpestvirus im Unterschied zu Wasservogelarten. Die niedrigpathogenen Influenzaviren rufen meist nur geringe bis gar keine Krankheitsanzeichen hervor. Bei hochpathogenen Subtypen tritt die Geflügelpest sehr plötzlich auf und ruft i.d.R. sehr hohe Sterblichkeitsraten hervor. Nur die Infektion mit hochpathogenen aviären Influenzaviren wird als Geflügelpest bezeichnet und beschreibt eine akut verlaufende, fieberhafte Viruserkrankung mit nur geringer Inkubationszeit.
Die Hauptsymptome der Geflügelpest können meist an folgenden Organsystemen beobachtet werden: Atemwege (Atemnot, Niesen, Nasen- und Augenausfluss), Nervensystem (Koordinationsstörungen, Krämpfe, Lähmungen) sowie Allgemeinsymptome wie Appetitlosigkeit, Schwäche und Apathie, drastischer Rückgang der Lege- und Mastleistung, Schwellungen am Kopf, Blaufärbungen des Kamms und der Kehllappen, wässrig-schleimiger grünlicher Durchfall sowie plötzliche Todesfälle.
Die Geflügelpest wird primär durch direkten Kontakt von infizierten zu gesunden Tieren übertragen. Dies geschieht vor allem durch Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen wie Exkremente, Speichel, Augen- und Nasensekret, in denen eine hohe Viruslast nachweisbar ist. Eine indirekte Übertragung kann wiederum durch kontaminierte Gegenstände wie Futter, Wasser, Haltungseinrichtungen, Kleidung, Fahrzeuge und Gerätschaften (z. B. Transportkisten) erfolgen, wenn diese mit den Ausscheidungen infizierter Tiere kontaminiert sind. Wichtige Eintragsquelle in Nutzgeflügelbestände sind Wildvögel, vor allem Zugvögel, die das Virus über weite Distanzen verbreiten können. Eine Verbreitung über die Luft ist ebenfalls möglich. Darüber hinaus kann der Mensch ein bedeutsamer Überträger der Tierseuche durch nicht gereinigte und desinfizierte Kleider, Schuhe oder Hände sein.
Die Geflügelpest betrifft in erster Linie Geflügel wie Hühner, Puten, Enten, Gänse und Wachteln. Es gibt jedoch Berichte über seltene Fälle, in denen das Virus auch andere Tierarten infiziert hat. Neben Wild- und Ziervögeln sowie exotischen Vogelarten, die in Deutschland z. B. in Zoos oder Vogelparks gehalten werden, können unter bestimmten Umständen auch Schweine anfällig für Geflügelpestviren sein. Dem Schwein kann eine besondere epidemiologische Rolle zukommen. In Schweinen können sich Influenzavirus-Subtypen bei Doppelinfektionen zu neuen, potentiell ansteckenderen Subtypen neu kombinieren, wodurch das Schwein als eine Art „Mischgefäß“ fungiert.
Ist eine Übertragung auf den Menschen denkbar? Können Sie vielleicht diesbezüglich kurz auf den Begriff der Zoonose eingehen?
Bestimmte Subtypen des Geflügelpestvirus, wie z. B. H5N1 oder H1N1, können auch Menschen infizieren, wenn diese sehr engen Kontakt mit infizierten Vögeln oder deren Ausscheidungen haben. Laut Robert-Koch-Institut ist das Infektionsrisiko für den Menschen hierbei aber als sehr gering einzuschätzen. Eine Weitergabe von Mensch zu Mensch ist wiederum äußerst selten und tritt nur unter spezifischen Bedingungen auf. Folglich handelt es sich bei der Geflügelpest um eine Tierseuche mit zoonotischem Potential. Unter Zoonosen werden sämtliche Krankheiten und/oder Infektionen verstanden, die auf natürlichem Weg direkt oder indirekt zwischen Tieren und Menschen und umgekehrt übertragen werden können.
Müssen sich Verbraucher Sorgen machen? Welche Entwicklung ist zu erwarten? Sind Auswirkungen auf Lebensmittelversorgung oder Lebensmittelsicherheit zu erwarten?
Nein, für Verbraucher besteht im Allgemeinen kein direktes Risiko durch die Geflügelpest, insbesondere nicht durch den Verzehr von Geflügelprodukten wie Fleisch und Eier, wenn diese küchenüblich auf über 70 °C erhitzt und zubereitet werden. Gründlich gekochtes oder gebratenes Geflügelfleisch und Ei sind für den menschlichen Verzehr in Bezug auf Geflügelpestviren sicher. Bei der Verarbeitung von Geflügelfleisch in der Küche sind grundsätzlich die allgemeinen Hygieneregeln zu beachten.
Auswirkungen der Geflügelpest auf die Lebensmittelsicherheit sind nicht zu erwarten, wenn Geflügelprodukte nach den o. g. Bedingungen in Küchen zubereitet werden. Bei Ausbrüchen der Geflügelpest greifen strenge staatliche Bekämpfungsmaßnahmen im Tierbestand, um die Verbreitung des Virus zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die amtlich anzuordnende tierschutzgerechte Bestandsräumung einschließlich einer unschädlichen Beseitigung, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass infizierte Produkte überhaupt in die Lebensmittelkette gelangen, stark reduziert wird. Des Weiteren gelten in der EU und vielen anderen Ländern strenge Vorschriften für die Überwachung von Geflügelprodukten, die verhindern, dass Produkte von infizierten Tieren in den Handel gelangen.
Mögliche Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung hängen von der Häufigkeit und dem Ausmaß von Geflügelpestausbrüchen ab. Die Geflügelpest ist eine wiederkehrende, mittlerweile ganzjährig auftretende Bedrohung für Nutzgeflügelbestände in Deutschland geworden. Kommt es in kurzer Zeit überregional zu mehreren Ausbrüchen mit hohen Tierverlusten bzw. Bestandstötungen, könnte der plötzliche Verlust eines Großteils der Geflügelbestände vorübergehend zu Engpässen in der Versorgung mit einheimischen bzw. regionalen Geflügelprodukten führen. Eine reduzierte Produktion kann wiederum zu Preiserhöhungen für Geflügel und Eier führen, insbesondere wenn große Mengen von Tieren getötet werden müssen. Sobald ein Seuchenzug eingedämmt wurde und die Produktion nach intensiver Reinigung und Desinfektion wieder angelaufen ist, normalisiert sich die Versorgung mit Geflügelprodukten in der Regel wieder.
Welche Vorkehrungen im Bereich Biosicherheit gibt es? Was kann man präventiv tun? Welche langfristigen Strategien sind notwendig, um das Risiko zukünftiger Ausbrüche der Geflügelpest weiter zu minimieren?
Biosicherheitsmaßnahmen sind entscheidend, um die Verbreitung der Geflügelpest in Geflügelbetrieben und darüber hinaus zu verhindern. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, das Risiko einer Einschleppung und Verbreitung des Virus in und zwischen Beständen zu minimieren. Wichtige Biosicherheitsmaßnahmen umfassen u. a. die strikte Zugangsbeschränkung zu Geflügelställen für geschultes und autorisiertes Betriebspersonal, die gründliche Reinigung und Desinfektion von Schuhen, Kleidung und Händen vor dem Betreten von Ställen. Gleiches gilt auch für Fahrzeuge, die in den Betrieb ein- und ausfahren. Des Weiteren sind Tiere unterschiedlicher Betriebe strikt voneinander getrennt zu halten, um eine Übertragung des Virus zu vermeiden. Dies gilt auch für die Abschirmung von Nutzgeflügelbeständen gegenüber Wildvögeln. Auslaufbereiche sind mit Netzen zu schützen. Des Weiteren sind offene Wasserstellen für Wildvögel unzugänglich zu machen, um Kontaminationen zu verhindern. Zu den routinemäßigen Biosicherheits- und Betriebshygienemaßnahme gehören auch die regelmäßige Reinigung und Desinfektion der Ställe, Futtertröge, Tränken und anderen Gerätschaften. Exkremente und andere Abfälle müssen zudem ordnungsgemäß gelagert und entsorgt werden. Zum Zweck der Überwachung und Früherkennung sind Bestände regelmäßig auf Symptome der Geflügelpest zu überprüfen.
Neben den direkten Biosicherheitsmaßnahmen gibt es mehrere präventive Ansätze, die das Risiko eines Ausbruchs langfristig reduzieren sollen. Gegenwärtig wird in der EU intensiv über Schutzimpfungen gegen die Geflügelpest in Nutzgeflügelbeständen diskutiert. Diese sind derzeitig noch verboten, da Schutzimpfungen zu Handelsrestriktionen führen. Weitere Präventivmaßnahmen umfassen die regelmäßige Überwachung von Wildvogelbeständen durch Monitoringprogramme, um potentielle Risiken frühzeitig zu erkennen und präventiv zu handeln, sowie die regelmäßige Schulung von Geflügelhalterinnen und Geflügelhaltern sowie des Betriebspersonals, um die Bedeutung der Biosicherheit zu verstetigen und die richtigen Präventions- und Biosicherheitsverfahren zu etablieren.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen haben Ausbrüche der Geflügelpest auf die Landwirtschaft in Deutschland?
Ausbrüche der Geflügelpest haben erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Deutschland, insbesondere in der Geflügelbranche und damit in Regionen, die stark von der Geflügelhaltung geprägt sind, wie die Region Weser-Ems in Niedersachsen. Die Folgen betreffen nicht nur direkt die geflügelhaltenden Betriebe, sondern wirken sich z. T. auf die gesamte Lebensmittelkette und den Handel aus. Zu unmittelbaren wirtschaftlichen Verlusten führen die amtliche Räumung infizierter Bestände einschließlich der Tierkörperbeseitigung, die damit verbundenen Produktionsausfälle, die psychische Belastung der von der Bestandsräumung betroffenen Tierhalterinnen und Tierhalter, die Kosten für die vorgeschriebenen staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen sowie jene für umfassende Desinfektionsmaßnahmen und den Wiederbesatz des Betriebes.
Indirekte wirtschaftliche Auswirkungen umfassen wiederum die durch Geflügelpestausbrüche bedingten Marktstörungen und Preisschwankungen infolge des Angebotsrückganges sowie etwaige Exportverbote in Ländern, die Handelsbeschränkungen auf Geflügelprodukte aus Geflügelpest-betroffenen Staaten legen. Darüber hinaus können wiederholte Ausbrüche zum Verlust des Vertrauens von Verbraucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit von Geflügelprodukten bedingen, was zu einem Rückgang der Nachfrage und langfristigen Imageverlusten für die Branche führen kann. Außerdem werden Bestandsräumungen im Rahmen der Tierseuchenbekämpfung gesellschaftlich zunehmend kritischer gesehen.
Vielen Dank für das Interview!