Klemens, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für die Beantwortung unserer Fragen genommen hast. Stelle dich und deine berufliche Position doch einmal genauer vor.
Nach meiner Ausbildung zum Landwirt habe ich in Bonn Agrarwissenschaften studiert. Von 1991 bis 2016 war ich beim Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion tätig. Der ZDS hat sich mit vier weiteren Tierartendachverbänden zum Bundesverband Rind und Schwein zusammengeschlossen. Seit 2017 bin ich dort als Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit tätig. Damit bin ich Ansprechpartner für die Kommunikation mit unseren 220 Verbandsmitgliedern und Kontaktperson für Journalisten, Verbrauchern und der Politik. Natürlich immer im Austausch mit unserer Geschäftsführung, Frau Dr. Hammer und Stephan Schneider.
Wir würden gerne mit diesem Interview über das Narrativ „Rinder seien die Klimakiller unserer Zeit“ aufräumen. Warum sind Rinder und andere Wiederkäuer in der öffentlichen Diskussion über den Klimawandel so präsent?
Nach Angaben des Umweltbundesamtes beträgt der Anteil der Landwirtschaft an den Gesamtemissionen in Deutschland ca. 8 Prozent bzw. ca. 61 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Die Tierhaltung hat daran einen Anteil von ca. 68 Prozent, wobei fast 90 Prozent auf Rinder entfallen. Das relevanteste Klimagas von Rindern ist Methan. Methanemissionen entstehen bei der Verdauung und werden ausgeatmet. Rinder haben vier Mägen und sind eine Symbiose mit Bakterien eingegangen, die rohfaserreiches Futter wie Gras und Heu für das Tier „verdauen“, also die Nährstoffe aufschließen. Ein Stoffwechselprodukt der Bakterien ist Methan, das in seiner Klimawirksamkeit CO2 (Kohlenstoffdioxid) um das 26-fache übertrifft.
Welche Aspekte zu diesem Thema fehlen dir in der öffentlichen Debatte?
Die Diskussion konzentriert sich fast ausschließlich auf Emissionen. Doch die Nutztierhaltung ist weit mehr als die Produktion von Nahrungsmitteln. Sie trägt entscheidend zur Kulturlandschaft bei, wie etwa Wiesen und Weiden, die durch ihren Humusanteil Kohlenstoff speichern und damit zum Klimaschutz beitragen. Zudem machen Rinder für den Ackerbau ungeeignete Grenzertragsstandorte für die Nahrungsmittelproduktion nutzbar. Sie wandeln die für den Menschen ungenießbare, aber bei der Nahrungsmittelproduktion unvermeidbare Pflanzenmasse – 4 Kilogramm pro Kilogramm erzeugtes Nahrungsmittel – in hochwertige Nahrungsmittel um.
Darüber hinaus liefern Rinder natürlich auch Rohstoffe für viele andere Wirtschaftszweige, z. B. für die Leder- oder Kosmetikindustrie.
Fazit: Rinder sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Bioökonomie und einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion.
Wie kann man es schaffen, der Gesellschaft die Verunsicherung bezogen auf den Fleisch- und Milchkonsum zu nehmen? Hilft es in diesem Zusammenhang, ein realistisches Bild mit fundierten Fakten zu kommunizieren?
Umfragen zeigen, dass die Deutschen gerne Fleisch und Fleischprodukte essen. Ich finde, jeder soll essen, was ihm schmeckt. Moralisieren lehne ich ab. Fakten sollten die Basis für eine transparente und ehrliche Diskussion bleiben. „Eine erfolgreiche Kommunikation über hochmoderne Tierhaltung und Lebensmittelproduktion sollte neben dem Know-how der Praktiker und der Faszination technischer Effizienz auch kulturelle, soziale und ästhetische Aspekte stärker berücksichtigen.“ Das stammt leider nicht von mir, sondern vom Soziologen Dr. Daniel Kofahl, dem Gründer des Büros für Agrarpolitik und Ernährungskultur. Er hat auf unserer diesjährigen Fachtagung in Leipzig einen sehr interessanten Vortrag zu diesem Thema gehalten. https://www.rind-schwein.de/brs-news/wunsch-und-wirklichkeit-wann-tut-der-spagat-nicht.html
So gehören die deutschen Rinderhalter zu den effizientesten Milcherzeugern weltweit. Sie produzieren dank effektiver Zucht und hohem Tiergesundheits- und Haltungsmanagement im weltweiten Vergleich mit die geringsten CO2-Emissionen pro Liter Milch bzw. pro kg Fleisch. Vergleicht man beispielsweise die Milchproduktion in Deutschland und Brasilien, so zeigt sich, dass die deutschen Milchbauern mit nur einem Drittel der Milchkühe doppelt so viel Milch produzieren wie ihre brasilianischen Kollegen. Eine globale Anpassung an dieses Niveau wäre wünschenswert, aber nicht alle Länder haben den gleichen Zugang zu Know-how, tierärztlicher Versorgung und hochwertigen Futtermitteln. Die Gunstregionen müssten also eigentlich mehr Verantwortung für die Welternährung übernehmen und zusätzlich bei den Effizienzbemühungen helfen. Sich durch Extensivierung und damit Verlagerung von Treibhausgasen aus der Verantwortung zu stehlen, ist keine Lösung.
Welche Rolle spielen Rinder bei dem Thema Nachhaltigkeit? Und warum sind sie eben keine Klimakiller?
„Klimakiller“ ist ein schreckliches Narrativ.
Obwohl Rinder Methan ausstoßen, hat sich die Effizienz in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Emissionen wurden in den letzten 20 Jahren um über 15 Prozent reduziert, vor allem weil durch Effizienzsteigerungen immer weniger Rinder benötigt werden. So ist der Rinderbestand in Deutschland seit 1950 um ein Drittel gesunken.
Hinzu kommt, dass Methan in der Atmosphäre innerhalb von 10 Jahren zu Wasser und CO2 abgebaut wird. Man spricht hier von einem regenerativen Kreislauf.
Ich bin stolz auf unsere Tierhalter und auf unsere Landwirtschaft insgesamt. Ein Bauer ernährt heute 139 Menschen. Dank der zuverlässigen Produktion von Lebensmitteln in ausreichender Menge, Vielfalt und guter Qualität konnten wir uns zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft entwickeln, in der jeder seinen beruflichen Neigungen nachgehen kann. Warum sagen wir das unseren Kundinnen und Kunden nicht viel öfter?
Oder um es mit den Worten von Prof. Dr. Onno Poppinga, Universität Kassel (im Ruhestand) zu sagen: „Die Kuh ist kein Klimakiller. Mit ihrer Fähigkeit, aus für den Menschen unverdaulicher Pflanzenmasse wertvolle Nahrungsmittel zu produzieren, ist sie vielmehr das „achte Weltwunder“.
https://www.rind-schwein.de/brs-news/rinder-sind-bei-fragen-zum-klimawandel-teil-der-lo.html
Jeden Tag werden neue Studien zum Thema Ernährung rausgegeben bzw. publiziert. Kann man da als Verbraucher noch den Durchblick behalten und wenn ja, welche Tipps hast du, um es zu schaffen?
Von Ernährungsempfehlungen halte ich gar nichts. Sie verunsichern mehr, als dass sie Orientierung bieten. Da ich kein Ernährungswissenschaftler bin, zitiere ich einen. Der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop ordnet sein Fachgebiet sehr nüchtern ein: „Nichts Genaues weiß man nicht“. Die Forschung steckt in einem Wahrnehmungsdilemma: Sie behauptet mehr, als sie beweisen kann. Kausale Evidenz, also hieb- und stichfeste Beweise, gebe es nicht. Alles, was die Fachwelt liefere, seien Hypothesen und Vermutungen, stellt der Ernährungswissenschaftler fest. Daraus ergebe sich auch der Umkehrschluss, dass man zum Beispiel einem Krebskranken bei der Diagnose nicht mit Sicherheit sagen könne: Deine Ernährung war schuld, weil du zu viel XYZ gegessen hast. Umgekehrt kann man auch in der Prävention nur evidenzbasierte Ratschläge geben, die auf Korrelationen beruhen, aber niemals auf kausaler Evidenz. Das gilt auch für Fleisch oder die sogenannte Planetendiät: „Wissenschaftlich gesicherte Belege für die Gesundheitsversprechen der EAT-Lancet-Kommission mit ihrer Planeten-Diät gibt es nicht. Und wer anders isst, ruiniert weder zwangsläufig seinen Körper noch den Erde.“, schreibt die Wissenschaftsjournalistin Johanna Bayer in ihrem Blog „Quarks und So“. Ich finde, sie hat Recht.
https://www.rind-schwein.de/brs-news/die-rolle-der-ernaehrung-bei-der-vorbeugung-von-kr.html
Welche Stellschrauben können bei der Methan-Reduzierung noch gedreht werden? Und wie ist Deutschland diesbezüglich im internationalen Vergleich aufgestellt?
Laut FAO (2021) stammt das weltweit gebildete Methan zu 25 Prozent von den Milchkühen. Eine effiziente Futterproduktion (Stickstoff-Düngung, Ernte, Konservierung) und eine effiziente Rationsgestaltung sind der Schlüssel zur Reduktion von Treibhausgasen. Darüber hinaus gibt es bereits Futterzusatzstoffe, die Einfluss auf die Methanemissionen haben.
Der Global Roundtable for Sustainable Beef (GRSB) hat am 25. September Vorschläge und Forschungsergebnisse zur Bekämpfung des Klimawandels und der Methanemissionen im Milch- und Rindfleischsektor vorgestellt. Im Mittelpunkt steht eine Initiative der Global Dairy Plattform (GDP) mit dem Namen „Pathways to Dairy Net Zero“ (P2DNZ), die darauf abzielt, die Methanemissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren. Die GRSB geht sogar davon aus, dass die Nettoerwärmung pro Rindfleischeinheit bis 2030 um 30% reduziert werden kann. Der Global Methane Hub informiert über Initiativen, wie durch klimafreundliche Produktion und Innovationen die Methanemissionen schnell reduziert werden können.
Parallel dazu arbeitet auch die Zucht permanent daran, den Methan-Ausstoß der Rinder über eine effizientere Futterverwertung zu reduzieren.
Gerade in den letzten Jahren sind hier enorme Fortschritte erfolgt. Das Thema Futtereffizienz wird in Zukunft einen wichtigen Platz bei der Umsetzung züchterischer Ziele haben.
https://www.rind-schwein.de/brs-news/ueber-die-fuetterung-die-methanemission-senken.html.
Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Wir werden aus Wiederkäuern niemals Monogastrier (Hühner, Schweine) machen. Bei der Produktion von tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln wird immer CO2 entstehen.
Häufig ist zu lesen, dass Deutschland ein Gunststandort ist. Was steht hinter diesem Begriff und was bedeutet das bezogen auf unsere eigenen Lebensmittel?
Eine nachhaltige Welternährung kann nur mit effizienten Agrarsystemen gelingen. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird sich bis 2050 nahezu verdoppeln. Die Herausforderung besteht darin, diesen Bedarf durch eine nachhaltige, ressourcen- und umweltschonende Nahrungsmittelproduktion zu decken. Der Weltklimarat (IPCC) fordert daher zu Recht eine nachhaltige Intensivierung bestehender Landnutzungssysteme. Eine Extensivierung nach deutschem Vorbild sehe ich kritisch. Aufgrund geringerer Erträge benötigen wir mehr Ackerfläche für die Nahrungsmittelproduktion – zu Lasten von Naturflächen und zu Lasten von Drittländern, deren Flächen wir für unsere dann steigenden Nahrungsmittelimporte benötigen. Leider gibt es Länder, die bis zu 80 Prozent ihres Nahrungsmittelbedarfs durch Importe decken müssen. Dazu gehören Länder in Afrika und Asien, aber auch China und Indien sind auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Die steigende Nachfrage kann aber nur von leistungsfähigen Nahrungsmittelproduzenten in Nordamerika, Europa und Teilen Südamerikas gedeckt werden – also von Ländern, die aufgrund günstiger Standortbedingungen und effizienter Produktionssysteme in der Lage sind, hochwertige Nahrungsmittel über den eigenen Bedarf hinaus zu produzieren. Deutschland hat dieses Potenzial. Aber es wird zum Importland, wenn wir die Effizienz unserer Agrarsysteme nicht nur nicht nutzen, sondern sie zunehmend in ihrem Potenzial beschneiden. Bei Obst und Gemüse können wir uns schon heute nicht mehr selbst versorgen. Krisensituationen zeigen, dass die Landwirtschaft systemrelevant sein kann. Was passiert, wenn man uns den Lebensmittelhahn zudreht wie der Energieversorgung den Gashahn? Wäre es dann nicht gut, wenn wir eine eigene leistungsfähige und nachhaltige Landwirtschaft hätten?
Dr. Thanawat Tiensin, FAO-Direktor für Tierproduktion und Tiergesundheit, und Dr. Dominik Wisser, FAO-Systemanalytiker, fordern in einem Interview mit unserer Verbandszeitschrift „Schweinezucht und Schweinemast“ mehr Effizienz in der Nutztierhaltung. Nur so können einerseits die Treibhausgasemissionen reduziert und andererseits 10 Milliarden Menschen ernährt werden. Eine Reduzierung des Konsums tierischer Lebensmittel oder die Umstellung auf eine vegane Ernährung hat einen geringeren Einfluss auf die globalen Gesamtemissionen als oft behauptet.
Und: Die Reduzierung von Lebensmittelverlusten bringt mehr als der Verzicht auf Fleisch (FAO: Pathways towards lower emissions).
https://www.rind-schwein.de/brs-news/weniger-nutztierhaltung-loest-nicht-die-klimaprobl.html
https://www.rind-schwein.de/brs-news/eine-nachhaltige-intensivierung-der-nutztierhaltun.html
https://www.rind-schwein.de/brs-news/eine-einseitige-betrachtung-bedeutet-den-tod-fuer.html
Vielen Dank für das Interview!