Prof. Windisch, wie ist es aus Ihrer Sicht zu erklären, dass Fleisch und dessen Produktion derart zur Zielscheibe geworden ist?
In den Augen der Fleischgegner schaden Nutztiere der Umwelt und fressen dem Menschen die Nahrung weg. Dazu kommt der Glaube, dass Weideflächen für Rinder freigehalten werden, statt dort Lebensmittel für Menschen zu produzieren und natürlich der Vorwurf, Fleisch sei ungesund und erhöhe beispielsweise das Krebsrisiko. Das ist fachlich und wissenschaftlich so nicht haltbar. Man darf das so nicht stehenlassen.
Was ist so falsch an dieser Darstellung?
Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Weltweit gesehen gelangen große Mengen an Getreide, Mais, Soja und anderen, durchaus essbaren Ernteprodukten der Landwirtschaft in die Nutztierfütterung. Hier drängen Nutztiere auf die Ackerflächen, werden tatsächlich zu Nahrungskonkurrenten des Menschen und müssen für die dabei entstehenden Emissionen dann auch die Verantwortung übernehmen. An diesem Punkt scheint sich die Nutztierhaltung in der Tat in einem Ungleichgewicht zu befinden. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Nutztiere grundsätzlich Umweltverschmutzer und Nahrungskonkurrenten des Menschen seien. Mit dieser verkürzten Aussage schüttet man schlichtweg das Kind mit dem Bade aus.
Zum einen „belegen“ Rinder nicht zwangsläufig Ackerflächen, die für den Anbau von menschlichen Lebensmitteln genutzt werden könnten. Mehr als zwei Drittel der weltweit verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen sind aus geographischen und klimatischen Gründen sogenanntes absolutes Grasland und für Ackerbau gar nicht nutzbar. Auf diesen Flächen können nur Wiederkäuer weiden. Fleisch ist auch nicht ungesund. Im Gegenteil. Fleisch ist ein äußerst hochwertiges Lebensmittel und bereits kleine Mengen reichen aus, die Lücken der Eiweißqualität von veganen Eiweißquellen auszugleichen. Und die Behauptung, dass der Konsum von rotem Fleisch das Krebsrisiko spürbar erhöhen würde, halten viele Experten nach Prüfung der weltweit verfügbaren, wissenschaftlichen Datenlage für überzogen.
Ist eine Landwirtschaft ohne Tierhaltung sinnvoll?
Über eine Folge müssen wir uns im Klaren sein: Verbieten wir die Nutztierhaltung, reduzieren wir das Potenzial zur Erzeugung von Lebensmitteln insgesamt. Landwirtschaft ist ein komplexes Netzwerk. Man kann Tiere und Pflanzen nicht trennen. Das Bindeglied ist die nicht-essbare Biomasse. Jedes Kilogramm veganes Lebensmittel ist unweigerlich mit einer enormen Menge an nicht-essbarer Biomasse aus der Landwirtschaft verknüpft. Schließlich essen wir nicht die ganze Weizenpflanze, sondern wir lassen das Stroh übrig und ernten nur die Körner. Das macht ungefähr die Hälfte der Biomasse de Weizenpflanze aus. Und auch die Körner gehen erst einmal in die Mühle, bevor Brot und andere Teigwaren daraus werden. In der Mühle wird das Mehl von der Kleie abgetrennt, also nochmal ein Viertel der geernteten Körner. Und auf dem Acker können wir nicht jedes Jahr Weizen anbauen. Wir brauchen Anbaupausen mit Zwischenkulturen zur Erholung des Bodens, zum Beispiel mit Kleegras, also wieder eine nicht-essbare Biomasse. Und dann kommt noch das Grünland hinzu, das als Acker schlichtweg nicht nutzbar ist. Auch da wächst nicht-essbare Biomasse, und zwar ausschließlich. Alles zusammen entsteht bei uns je 1 kg veganem Lebensmittel mindestens 4 kg nicht-essbare Biomasse, in anderen Regionen noch viel mehr.
Wir Menschen können mit diesen riesigen Mengen an nicht-essbarer Biomasse nichts anfangen. Aber Nutztiere sind in der Lage, daraus Fleisch, Mich und Eier zu machen. Gerade die Wiederkäuer bilden aus dem faserreichen Material höchstwertige Lebensmittel. Das ist fast schon veganes Protein, denn es entsteht ohne jegliche Nahrungskonkurrenz zu Menschen, und zwar zusätzlich zu den veganen Lebensmitteln. Wenn wir also die Nutztiere nicht hätten, könnten wir die nicht-essbare Biomasse nicht nutzen und müssten auf eine erhebliche Menge an höchstwertigen Lebensmittel verzichten. Um diese Lücke mit veganen Lebensmittel zu schließen, müssten wir Wälder und Moore in Äcker umwandeln und würden dann noch mehr nicht-essbare Biomasse erzeugen als wir ohnehin schon haben. Das macht alles keinen Sinn und wäre auch für den landwirtschaftlichen Pflanzenbau nicht gut.
Können Sie den letzten Punkt noch etwas präzisieren?
Landwirtschaftliche Nutzung und Ernte von Biomasse entzieht dem Boden fortlaufend wichtige Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff. Diese Stoffe müssen zurück in den Boden, um ihn fruchtbar zu halten. Auch hier geht es wieder hauptsächlich um die nicht-essbare Biomasse, denn darin sind enorme Mengen an Pflanzennährstoffen gebunden. Für deren Rückführung gibt es drei Möglichkeiten: Man kann die nicht-essbare Biomasse direkt in den Boden einarbeiten, aber das ist ineffizient, denn der Abbau der Biomasse läuft nicht synchron zum Bedarf der Kulturpflanzen. Oder man vergärt sie in einer Biogasanlage und transportiert die Gärreste auf die Felder. Das effizienteste ist aber die Verfütterung an Nutztiere. Das bringt nicht nur höchstwertige Lebensmittel für den Menschen, sondern liefert darüber hinaus auch organischen Dünger für das Pflanzenwachstum, was insgesamt die Produktion von veganen Lebensmittel steigert.
Ist das Rind wirklich DER Klimakiller Nr. 1?
Das große Problem der Klimakrise ist nicht der Methanausstoß der Rinder, sondern die Emissionen von CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Die Landwirtschaft befindet sich dagegen weitgehend in einem Stoffkreislauf. Deshalb fällt der Klimawandel auch mit der Industrialisierung zusammen und nicht mit der Tierhaltung, die seit tausenden von Jahren besteht. Allerding kann Landwirtschaft sehr wohl große Menge an CO2 freisetzen, etwa durch Rodung von Wäldern oder Trockenlegung von Mooren. Entscheidend ist dabei die Umwandlung zum Acker. Und wenn man auf dem Acker dann in großem Stil Futter für Nutztiere anbaut, trägt das zur CO2-Emission natürlich auch bei.
Weltweit gesehen verursachen Wiederkäuer gut 15 % der globalen Methanemission und damit 4 % der vom Menschen verursachten Emissionen an CO2-Äquivalenten. In Deutschland machen sämtliche Methanquellen rund sieben Prozent der CO2-Äquivalente aus. Davon sind drei Prozentpunkte, also weniger als die Hälfte der Haltung von Nutztieren zuzuordnen. Wir reden also von einem Reduktionspotenzial von drei bis vier Prozent, wenn wir alle Nutztiere abschaffen würden. Außerdem müssen wir bedenken, dass das Methan in der Atmosphäre innerhalb von etwa zehn Jahre wieder abgebaut wird, ganz im Gegensatz zum CO2. Das Methan, das die Nutztiere dieser Welt vor dem Jahre 2010 ausgeschieden haben, trägt heute nicht mehr zum Klimawandel bei.
Das darf man aber nicht als Freibrief für Methanmissbrauch sehen. Methan ist und bleibt ein hochwirksames Treibhausgas. Auf der einen Seite müssen wir die Emissionen möglichst niedrig halten, auf der anderen Seite sind es aber gerade die Wiederkäuer, die die nicht-essbare Biomasse besonders gut verwerten. Es geht als nicht um den völligen Stopp der Emissionen von Methan. Der Verlust an Lebensmitteln wäre viel zu groß und der Versuch, sie durch verstärkte Produktion von veganen Lebensmittel zu ersetzen, würde an anderer Stelle die Emissionen von Treibhausgasen nach oben treiben. Vielmehr geht es um das richtige Verhältnis zwischen Nutztierhaltung und Pflanzenproduktion sowie um die Minimierung der Methanbildung im Verhältnis der insgesamt erzeugten Lebensmittel, also pflanzliche und tierische.
Sind die vegane Ernährungsweise oder Fleischersatzprodukte ressourcenschonender für die Umwelt?
Fleischersatzprodukte stehen keinesfalls besser da als Fleisch. Vor allem das sogenannte Clean Meat oder Lab Grown Meat, also Kunstfleisch auf der Basis von Zellkulturen, stellt aus Umweltsicht keine Alternative dar. Die Zellkultur ist ja auch nur eine Art von Nutztier und muss gefüttert werden. Das Futter besteht hier jedoch aus reinsten Nährstoffen, die man erst mal aus veganen Lebensmitteln aufwändig herstellen muss. Außerdem muss man wie bei jedem Lebewesen mehr Futter hineinstecken, als man schließlich ernten kann. Kunstfleisch ist also ein Nahrungskonkurrent um vegane Lebensmittel und bedeutet im Umgang mit essbarer Biomasse schlichtweg ein großes Verlustgeschäft. Außerdem verlangen Zellkulturen einen extrem hohen Aufwand an Technik und Sterilität, was wiederum sehr viel Energie verschlingt. Solche Produktionsformen sind im Vergleich zur konventionellen Tierhaltung also keinesfalls umweltfreundlicher oder nachhaltiger.
Ganz anders sieht es bei den veganen Ersatzprodukten aus. Nehmen wir zum Beispiel den Haferdrink. Von einem Kilogramm Hafer landet nur ein Drittel im Lebensmittel. Zwei Drittel verblieben als Rest, der als Futtermittel für Nutztiere hervorragend geeignet ist. Oder nehmen wir mal die Sojabohne, die zu zwei Dritteln aus hochwertigem Öl und Protein besteht. Auch hier bleibt ein Drittel nicht-essbare Biomasse mit hervorragender Futterqualität übrig. Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Herstellung hochwertiger veganer „Ersatzprodukte“ liefert stets große Mengen an nicht-essbarer Biomasse. Selbstverständlich könnte man diese als Mensch durchaus mitessen, etwa die Kleie in Form von Vollkornbrot, aber sie bleibt dann ungenutzt. Es ist wesentlich intelligenter, die pflanzlichen Ernteprodukte aus der Landwirtschaft in hochwertige vegane Lebensmittel weiterzuverarbeiten und gleichzeitig die dabei anfallende, nicht-essbare Biomasse an Nutztiere zu verfüttern. Auf diese Weise entstehen aus derselben Biomasse mehr Lebensmittel, als wenn man sie entweder als Menschennahrung oder als Tierfutter verwendet hätte. Überhaupt sollte man Lebensmittel pflanzlicher und tierischer Herkunft nicht gegeneinander ausspielen.
Insgesamt geht es darum, die Nutztierhaltung mit der Pflanzenproduktion intelligent zu verzahnen und in ein umweltschonendes Gleichgewicht zu bringen. Wenn man sich hierbei an der unvermeidlich anfallenden, nicht-essbaren Biomasse orientiert, bedeutet dies ein Maximum an Umwelt- und Klimaschutz, allerdings aber auch eine geringere Produktion an Lebensmitteln tierischer Herkunft.