Die Versorgungssicherheit von Lebensmitteln in Deutschland

Versorgungssicherheit von Lebensmitteln in Deutschland
Prof. a.D. Dr. Dr. h. c. Harald von Witzke

Die weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln steigt schneller als das Angebot. Da die landwirtschaftlich nutzbare Fläche begrenzt und die Ernährungssicherheit für alle Verbraucher:innen essenziel ist, muss die Produktivität gesteigert werden.

Wir sprechen mit Herrn Harald von Witzke wie die Lebensmittelproduktion der Zukunft aussehen sollte, sowie über die Versorgungssicherheit von Lebensmitteln. Herr von Witzke ist ein deutscher Agrarökonom. Er war bis zu seiner Emeritierung Professor für internationalen Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist jetzt Mitglied im Vorstand des Thaer Forums für Agrikultur e.V..

Wie bekommen wir alle Menschen unter fairen Bedingungen satt und wie können wir unsere Landwirtschaft so erhalten, dass sie maximal ökonomisch und ökologisch arbeitet?

Die ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Sicherung der Ernährung der rasch wachsenden Weltbevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten eine der ganz großen Herausforderungen der Menschheit sein. Zum einen wächst die Weltbevölkerung in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts von 6 auf 10 Mrd. und damit zahlenmäßig schneller als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Zum anderen steigt auch der Verbrauch je Person in den Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich. Beides wird dazu führen, dass sich der künftige Bedarf der Welt nur zu tendenziell steigenden Preisen wird befriedigen lassen. Aber bereits heute leidet fast eine Milliarde Menschen an Unterernährung. Jeden Tag sterben 8000 Kinder an den Folgen von Mangelernährung. Ohne Innovationen und Produktivitätssteigerungen wird es nicht gelingen, die Menschheit in nachhaltiger Weise ausreichend mit Nahrung zu versorgen.

Wie sieht es mit der Ernährungssicherheit in Europa und Deutschland aus?

a. Wie steht es um die Versorgungssicherheit von Lebensmitteln in Deutschland und sind wir vom Ausland abhängig?

Von 1870 bis zum Jahrtausendwende hat die Weltlandwirtschaft immer mehr Menschen mit immer mehr Nahrung zu tendenziell sinkenden Preisen bereitgestellt. Das neue  Jahrtausend markiert auch das Ende des gefühlten Überflusses und den Beginn einer neuen Ära der Knappheit. Die Implikationen für die heimische und die weltweite Nahrungsproduktion sind derart drastisch, dass man die Jahrtausendwende auch als eine Zeitenwende für die Land- und Ernährungswirtschaft bezeichnen kann. Seit 2000 beobachten wir eine zunehmende Nahrungsknappheit und daher auch tendenziell steigende Preise. Diese Entwicklung wird sich auf absehbare Zeit fortsetzen. Inzwischen ist auch deutlich geworden, dass weltweit das Naturkapital, soweit es für die Landwirtschaft relevant ist, zunehmend knapper wird. Dies schließt landwirtschaftlich nutzbare Böden ebenso ein wie natürliche Lebensräume, Biodiversität und Wasser. Und auch unsere globale Klimaallmende ist mittlerweile mehr als gesättigt mit Klimagasen.

Auch in der EU hat die neue Ära der Knappheit begonnen. Vorbei sind die Zeiten der Überschüsse. Weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die EU zu einer der größten Nettoimporteurinnen weltweit entwickelt, wenn man die Handelsströme herunterbricht auf die Ebene der agrarischen Rohstoffe. Als Folge davon nutzt die EU per Saldo zwischen 17 und 34 Mio. ha außerhalb unserer Grenzen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse im Agrarbereich. Die traurige Wahrheit ist, dass Deutschland hierzu erheblich beiträgt, nämlich 6 bis 7 Mio. ha. Während der Phase der Überschussproduktion in der EU wurde die öffentliche Agrarforschung zurückgefahren und ein wichtiger Teil der privaten Agrarforschung wanderte wegen politisch gewollter Einschränkungen in andere Weltregionen ab.

b. Und wenn ja: Was würde das für die landwirtschaftlichen Strukturen in den unterschiedlichen Regionen im Land bedeuten? Würden beispielsweise die kleinbäuerlichen Strukturen und die Erzeugnis-Vielfalt, wie wir Sie etwa von Bayern kennen, erhalten bleiben?

Angesichts der zunehmende Knappheiten in der Weltagrarwirtschaft brauchen wir aber mehr und nicht weniger Agrarforschung. Agrarforschung abzubauen geht deutlich schneller als eine Spitzenforschung wieder aufzubauen. Insbesondere wurde die molekulare Pflanzenzüchtung so weit eingeschränkt, dass sie für die heimische Landwirtschaft nicht viel an Innovationen bereitstellen kann. 

c. Warum importieren wir zunehmend auf dem Ausland?

Landwirtschaft 4.0, also der Einsatz autonomer Landmaschinen und deren Ausstattung mit künstlicher Intelligenz werden neue Formen der Kooperation zwischen landwirtschaftlichen Betrieben gleich welcher Größe erfordern, weil die neuen technologischen Innovationen sich oft besser für große Produktionseinheiten eignen. Die Bedeutung landwirtschaftlicher Dienstleister wird ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Kombination von agrarischer Rohstoffproduktion mit anderen landwirtschaftlichen und nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten. Hier gibt es auch Chancen für kleinere Betriebe, die sich mit anderen zusammentun oder die Einkommenskombinationen realisieren z. B. als landwirtschaftliche Dienstleister. 

Ist es sinnvoll aus Klimaschutzgedanken unsere deutsche Landwirtschaft und damit die Lebensmittelproduktion zurückzufahren?

Der von menschlichen Aktivitäten verursachte Klimawandel kann viele Schäden für die Land- und Gesamtwirtschaft weltweit verursachen. Landwirtschaftliche Emissionen tragen erheblich zum Klimawandel bei. Gleichzeitig leidet die Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt unter dem Klimawandel. Insofern wird auch von der Landwirtschaft erwartet, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Politik in Europa hat diesbezügliche allerdings einen Weg eingeschlagen, der das Gegenteil von dem bewirken würde, was vorgeblich damit erreicht werden soll. 

Die Agrarpolitiker in Deutschland und der EU verfolgen die Erreichung der Klimaneutralität der Landwirtschaft durch den Ausbau der Ökolandwirtschaft oder den sog. Green Deal. Beides verringert die Flächenproduktivität. Als Folge wird Nahrung knapper und teurer. Dies wiederum erhöht die Anreize für die zusätzliche Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzflächen weltweit – typischerweise durch Brandrodung von Wäldern oder das Umbrechen von Grasland in Ackerland. Dabei werden weltweit deutlich mehr Klimagase freigesetzt, als durch den Wechsel von modernen Produktionsmethoden zu sog. ökologischen Wirtschaftsweisen in der EU eingespart werden. Jeder Hektar der von moderner wirtschaftsweise auf Ökolandbau umgestellt wird, verursacht nach unseren Berechnungen Klimakosten für die Welt insgesamt in Höhe von etwas mehr als € 18 000.

Sollten wir weniger Tiere in Deutschland halten? Beispielhaft: Bei Rindern kommen wir in eine Unterversorgung mit Rindfleisch.

Wir haben dies für die Hähnchenfleischerzeugung untersucht. Dabei zeigte  sich, dass die heimische Produktion sehr effizient mit den knapper werdenden landwirtschaftlichen Flächen und mit Wasser umgeht.  Die Verringerung der heimischen Produktion bedeutet zunächst den Verlust von Einkommen und Arbeitsplätzen in der heimischen Landwirtschaft sowie in den mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereichen. In anderen Weltregionen steigen dadurch Beschäftigung, Produktion und Einkommen. Eine Verringerung der heimischen Produktion wird daher als Exportprogramm für heimische Arbeitsplätze in der Land- und Ernährungswirtschaft wirken. Da in den Regionen, in die die heimisch Produktion abwandert, die Effizienz des Einsatzes von Futtermitteln und Wasser geringer ist als in der EU, bedeutet dies auch insgesamt einen zusätzlichen Verbrauch von Wasser und eine zusätzliche weltweite Ausdehnung der Flächen für Futtermittel. 

Bei einer Umstellung der EU auf die die Hähnchenfleischerzeugung würden nach unseren Berechnungen die landwirtschaftlichen Flächen weltweit um 900.000 ha ausgedehnt werden mit Klimakosten in Höhe von € 33 Mrd. Damit einher gehen Verluste von 900.000 ha natürlicher oder naturnaher Lebensräume und deren Biodiversität sowie ein zusätzlicher Verbrauch von 14,5 km Kubikkilometer von Wasser.  

Werden Konsument:innen und Landwirt:innen in Deutschland ausreichend darüber informiert, wo ihre Lebensmittel unter welchen Bedingungen angebaut werden?

In Europa haben wir eine Marktwirtschaft. Sie ist eine zentrale Quelle unseres Wohlstands. In Marktwirtschaften produzieren die Unternehmen, was die Konsumierenden kaufen wollen. Damit wir Konsumierende aber rationale Entscheidungen treffen können, benötigen wir ehrliche und vollständige Informationen über die Qualitätskomponenten der uns von den Produzenten und den Supermärkten angebotenen Produkte. Leider ist dies derzeit nicht der Fall. Der Grund besteht wiederum darin, dass der CO2 Fußabdruck der Produktion falsch gemessen wird, weil lediglich die direkten Emissionen vor Ort berücksichtigt werden, während die durch die Umstellung der heimischen Produktion verursachte zusätzliche weltweite Flächenausdehnung und deren Implikationen für Klima und Erhalt natürlicher Lebensräume negiert werden. 

Für die Verringerung der heimischen Rinderhaltung gilt im Prinzip ähnliches. Quantifiziert worden ist dies bisher allerdings noch nicht. Außerdem ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Rinderhaltung oft zu Unrecht als klimaschädlich kritisiert wird. Denn in dem Maß in dem die heimisch Rinderhaltung auf der Basis von Grünland erfolgt, ergibt sich keine Ressourcenkonkurrenz. Eine Verringerung der heimischen Produktion würde dann dazu führen, dass Biomasse ungenutzt von Bodenlebewesen zersetzt würde, was ebenfalls Klimagasemissionen zur Folge hätte.

Welche Innovationen könnten der Landwirtschaft und damit der gesamten Erde helfen, nachhaltig mehr Lebensmittel für die wachsende Weltbevölkerung zu produzieren?

Wie erhalten wir eine Lebensmittelproduktion, die ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig ist? Und kann jede Verbraucherin, jeder Verbraucher selbst einen Beitrag dazu leisten? 

Bis 2050 wird prognostiziert, dass wir 10 Mrd. Menschen sind. Denken Sie, dass die Landwirtschaft so viele Menschen versorgen könnte? Falls ja, auf welche Weise kann das funktionieren?

Nur mit einer modernen, innovativen und produktiven Landwirtschaft wird es möglich sein, bis 2050 10 Mrd. Menschen zu ernähren bei gleichzeitigem Schutz von natürlichen Ressourcen, Umwelt und Klima und das zu Preisen, die sich auch die armen Menschen der Welt leisten können. Die Digitale Landwirtschaft, incl. Künstlicher Intelligenz, wird uns dabei helfen. Zentral zum Sieg über den Hunger werden auch Nutzpflanzen sein, die durch die neuen Verfahren der molekularen Pflanzenzüchtung geschaffen worden sind. In der Humanmedizin und Pharmakologie sind Produkte, die mit molekularen Methoden erzeugt wurden, heute schon weit verbreitet. Auch Impfstoffe gegen das Corona Virus wurden auf diese Weise hergestellt. Ich glaube nicht, dass sich das Verbot des Anbaus von Nutzpflanzen, die durch molekulare Züchtungsmethoden geschaffen wurden, noch lange aufrechterhalten lässt. Bei rationaler Nutzen- und Risikoabwägung kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass die Vorteile dieser Züchtungsmethoden für Konsumenten, Umwelt und Klima eventuelle Risiken weit übersteigen. So können auf diese Weise Nutzpflanzen erzeugt werden, die widerstandsfähig sind gegen biotischen Stress. Dies würde den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren, ohne Rückgang der Flächenerträge. Außerdem lassen sich mit Hilfe dieser Züchtungsmethoden Nutzpflanzen schaffen, die widerstandsfähig sind gegen abiotischen Stress wie beispielsweise Hitze, Trockenheit, Staunässe oder Frost, was die Ertragssicherheit erhöht. Schließlich kann man auch Nutzpflanzen erzeugen, die gänzlich neue Eigenschaften aufweisen und das Ertragspotential unserer Nutzpflanzen steigern, wie z. B. die Nutzung des Luftstickstoffs oder die effizientere Nutzung von Sonnenlicht und Pflanzennährstoffen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Landbewirtschaftung bedeutet, die jeweils natürlich vorkommende Flora und Fauna zugunsten der Nutzpflanzen zu verändern. Je besser dies gelingt, desto mehr natürliche Lebensräume und deren Biodiversität können erhalten werden.

Die „Planetary Health Diet“ der EAT-Lancet Commission gilt vielen Menschen als richtungsweisender Fahrplan für eine klimaschonende und gesunde Ernährung. Sehen Sie das auch so?

In den meisten reichen Ländern der Welt ist der durchschnittliche Kalorienkonsum zu hoch und auch die Zusammensetzung dessen, was wir verzehren, entspricht nicht immer den Empfehlungen der Ernährungsphysiologen. Es gibt viele Diätvorschläge, die es einem erlauben, es besser zu machen. Wir haben die freie Wahl, wie wir uns ernähren wollen und das ist auch gut so. Menschen, die Ökoprodukte konsumieren, mögen aufgrund der dafür gemachten Werbung denken, dass sie einen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Agrarproduktion leisten. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.

Was würden Sie Verbraucherinnen und Verbrauchern, die sich zukunftsfähig ernähren wollen, heute ganz konkret empfehlen? 

Kaufen Sie, was am besten zu ihren Vorstellungen und ihrem Budget passt. Glauben Sie nicht den Versprechungen der Politik, dass die bisher veröffentlichen  Daten über den CO2 Fußabdruck der Nahrungsmittel der Wahrheit entsprechen. Sie tun es nicht. Wenn, wie bisher üblich, die negativen Klima- und Umweltwirkungen durch den höheren Flächenbedarf nicht in die Berechnungen eingehen, wird ein methodischer Fehler gemacht. Die gemessenen Einsparungen von direkten Emissionen der Ökoprodukte sind deutlich geringer als die nicht gemessenen zusätzlichen Emissionen durch Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen in anderen Teilen der Welt. Mich erinnert das alles an den VW Dieselskandal, der auch hervorgerufen wurde durch eine methodisch inkorrekte Messung der als besonders umweltfreundlich beworbenen Dieselmotoren. 

Vielen Dank sagen LAND.SCHAFFT.WERTE. e.V. und Unsere Bayerischen Bauern!

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