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Verallgemeinerung und Ernährungswissenschaft

Verallgemeinerung Ernährungswissenschaft
Uwe Knop

Herr Uwe Knop ist Autor und Diplom-Ernährungswissenschaftler. In einem Interview mit der Initiative Fokus Fleisch aus Bonn erläutert er, was gesunde sowie ungesunde Ernährung ist und wie sinnvoll die allgemeinen Ernährungsempfehlungen wirklich sind. Mit diesem Interview gehen wir auf das Thema Verallgemeinerung und Ernährungswissenschaft ein.

Herr Knop, vielen Dank für Ihre Zeit. Lassen Sie uns gerne direkt einsteigen. Ernährung ist zu einem echten Trendthema geworden und es gibt unzählige Empfehlungen für „gute Ernährung“, woraus auch häufig Verallgemeinerungen werden. Wie bewerten Sie das?

Der Hype um gute Ernährung ist grundsätzlich begrüßenswert. Ernährung ist schließlich die wichtigste und schönste Hauptsache der Welt – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ohne die Nährstoffe aus der Ernährung kann der Mensch nicht leben. Daher ist die breite Diskussion in der Öffentlichkeit gut.

Aber?

Es wird leider auch viel zu viel Unsinn berichtet und vor allem auf Social Media gepostet, um bestimmte Ernährungsrichtungen zu positionieren. Um das direkt einmal klar zu sagen: Dafür fehlt jede Art von wissenschaftlicher Evidenz. Es gibt keine Beweise dafür, ob „Ernährung A“ besser, also gesünder, ist als „Ernährung B“. Bei solchen Empfehlungen geht es häufig nicht um Wissenschaft, sondern um Ideologie und Marketing. Denn „Besser-Esser-Hypes“ sind oft teuer und wollen verkauft werden.

Aber was macht denn dann eine gute Ernährung aus?

Dafür hat niemand eine wirklich belastbare Antwort. Jahrzehntelang hat die Ernährungswissenschaft versucht, Beweise aus Beobachtungsstudien abzuleiten. Zahlreiche große Meta-Analysen bestätigen jedoch immer wieder, dass all diese Studien keine belastbare Evidenz liefern. Mittlerweile weiß man, dass der Versuch, über sehr schwache Korrelationen (einfache statistische Zusammenhänge) belastbare Kausalitäten, also Ursache-Wirkungs-Beziehungen, zu generieren, nicht funktioniert. Das ist wissenschaftliches Harakiri.

Was bedeutet das für die Ernährungswissenschaft?

Einen Paradigmenwechsel. Immer mehr Publikationen und Wissenschaftler machen eindeutig klar, dass wir von den „Empfehlungen für alle“ wegmüssen, sie haben keine valide wissenschaftliche Evidenz – und diese Beweise wird es aufgrund der ökotrophologischen Forschungslimitierungen auch niemals geben. Stattdessen geht es um „precision nutrition“ – also individuelle und spezifische Empfehlungen und Essgewohnheiten, die von Mensch zu Mensch oftmals stark variieren.

Es gibt also keine allgemein sinnvollen Empfehlungen?

Der kleinste gemeinsame Nenner ist: Ernähre dich vielfältig, abwechslungsreich und mit frischen hochwertigen Lebensmitteln, die du gut verträgst. Und immer alles in Maßen. Essenziell dabei: Iss, wenn du deinen echten, körperlichen Hunger spürst. Kurzum: Ich plädiere für intuitives Essen, das diesen Nenner perfekt ins echte Leben transferiert.

Klingt für jeden einzelnen nach etwas mehr Arbeit?

So kann man das sehen, aber der einzig richtige Orientierungspunkt ist der eigene Körper. Jeder Mensch tickt in Ernährungsfragen anders. Daher gilt, dass jeder in sich selbst hineinhören muss, sodass Verallgemeinerungen also kaum zutreffen. Ich kann nicht im Internet nachlesen, welche Nährstoffe oder Lebensmittel gut für mich sind, das weiß nur mein Körper. Das erfordert natürlich auch eine bewusste und achtsame Wahrnehmung, eine ehrliche Selbstreflexion des eigenen Essverhaltens, die ich allen Menschen sehr ans Herz lege.

Abgesehen vom „was“ stellt sich auch immer die Frage nach dem „wie viel“. Gibt es dazu noch sinnvolle allgemeine Empfehlungen?

Nein, hier gilt das gleiche wie bisher beschrieben. Es gibt so viele richtige Ernährungsweisen, wie es Menschen gibt, denn: Jeder Mensch „is(s)t“ anders. Das „wie viel“ sagt einem auch der Körper, indem ich so viel esse, bis ich satt bin. Es wird ab dem Moment problematisch, wo das Essen durch Gefühle oder Emotionen gesteuert und hungerfrei die Seele gefüttert wird. Also wenn ich zum Beispiel esse, wenn mir langweilig ist, ich traurig bin oder Stress habe. Das gilt es natürlich zu vermeiden. Aber ansonsten ist es so einfach, wie es klingt: Iss. wenn Du Hunger hast, und zwar so viel, bis du angenehm satt bist, dich nach dem Essen richtig gut fühlst und Dich über das „wohlige Stöhnen aus der Tiefe des Bauches“ freust.

Neben der Quantität spielt natürlich auch die Qualität von Lebensmitteln und Nährstoffen eine Rolle. Wie wichtig ist der für die persönliche Ernährung? 

Ich würde niemandem empfehlen, sich dezidiert mit einzelnen Inhaltsstoffen in Lebensmitteln auseinander zu setzen. Das ist ein Fass ohne Boden und bringt wenig. Es geht stattdessen vor allem darum, frische und hochwertige Lebensmittel zu essen, die dem eigenen Körper guttun.

Welche Rolle spielt Fleisch aus Ihrer Sicht in diesem Zusammenhang?

Fleisch ist ein hochwertiges Lebensmittel. Und einer der besten Lieferanten von Proteinen. Aus Gesundheitsperspektive kann man Fleisch daher problemlos in den eigenen Speiseplan einbauen, wenn man es gerne isst. Im Supermarkt sollte ich dann natürlich auch selbst entscheiden, welches Fleisch ich kaufe und ob ich auch darauf achten möchte, unter welchen Bedingungen es produziert wurde. Sprich: Ob ich mehr oder weniger Geld ausgeben will. Gesundheitlich lässt sich dahingehend aber bis dato kein Unterschied nachweisen.

Will heißen, dass Fleisch aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist?

Natürlich. Fleisch ist nicht ungesund, auch wenn man das häufiger mal liest. Es gibt keinerlei haltbaren wissenschaftlichen Beleg dafür. Aber man kann selbstverständlich auch ohne Fleisch gut und gesund leben, wenn man, wie wir in Deutschland, eine sehr große Bandbreite an hochwertigen und frischen Lebensmitteln zur Verfügung hat.

Wenn die wissenschaftlichen Belege fehlen, wieso geben bekannte Institutionen trotzdem noch allgemeine Empfehlungen ab?

Diese Empfehlungen werden immer weniger und immer schwächer. Ich denke, dass sich das künftig auch in den offiziellen Regeln und Richtlinien ändern wird. Für mein Buch „Dein Körpernavigator zum besten Essen aller Zeiten“ habe ich bei den sieben großen deutschsprachigen Ernährungsinstitutionen angefragt, alle haben mir unisono geantwortet: Die Einteilung in „gesunde Lebensmittel“ und „ungesunde Lebensmittel“ per se ist nicht sinnvoll. Das braucht niemand. Es fehlt einfach die wissenschaftliche Evidenz.

Also hilft am Ende tatsächlich nur die Selbstreflexion und das Hören auf den eigenen Körper?

Exakt. Mein Aufruf wäre: Finde die Ernährung, die am besten zu dir passt. Ernährung ist das Wichtigste im Leben, es ist elementar sich damit zu beschäftigen. Und da sollte man sich von niemanden reinreden lassen.

Vielen Dank, Herr Knop.

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