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Herausforderungen in der deutschen Landwirtschaft

Dr. rer. nat. Barbara Grabkowsky
Dr. rer. nat. Barbara Grabkowsky

Seit mehr als sechs Jahren steht Dr. Barbara Grabkowsky an der Spitze des Verbunds Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar), wo sie sich intensiv mit der (inter-)nationalen Analyse und Begleitung von Transformationsprozessen in der Agrar- und Ernährungsbranche beschäftigt.

In unserem Interview gibt Frau Dr. Grabkowsky Einblicke in die aktuellen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht und erläutert, welche Maßnahmen erforderlich sind, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Frau Grabkowsky, Sie beschäftigen sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit den Veränderungsprozessen der Landwirtschaft. Wo liegen ihrer Meinung nach die Ursachen für die heftigen Proteste der Landwirte?

Die Landwirtschaft befindet sich in einem gesellschaftlich vorangetriebenen Wandlungsprozess, in dem grundlegende Veränderungen der Landwirtschaft und weiteren Sektoren angestoßen wurden und werden. Diese Änderungen konzentrieren sich u.a. auf Tierwohl, Klimaschutz, Klimaanpassung und Umweltschutz. Seit Jahren werden Landwirt:innen mit ständig neuen Auflagen, Gesetzen und Anforderungen konfrontiert. So wird es immer schwieriger zu arbeiten und Lebensmittel zu produzieren.

Andere Branchen müssen doch auch mit wechselnden Rahmenbedingungen zurechtkommen. Ist das in der Landwirtschaft schwieriger?

Landwirtschaft funktioniert in einem anderen Tempo als andere Branchen. Die Abläufe richten sich z.B. nach den Jahreszeiten, sind abhängig vom Wetter und der Produktionsausrichtung und erfordern daher eine andere Planbarkeit. Wenn Prozesse geändert werden müssen, brauchen die Akteure die Sicherheit, dass im nächsten Jahr noch gilt, was heute vereinbart wurde. Ansonsten wird es schwierig und risikoreich zu entscheiden, wo und wie Geld in die zukünftige Existenz des eigenen Betriebes investiert wird.

Ist in dieser Unsicherheit die aktuelle Wut begründet?

Nicht nur: Viele Akteure aus der Landwirtschaft waren im aktuellen Transformationsprozess kontinuierlich gesprächsbereit und haben fachlich schlüssige Konzepte mit anderen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Behörden, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft (NGOs) und LEH entwickelt – zum Beispiel in der Borchert-Kommission oder der Zukunftskommission Landwirtschaft. Doch die Ergebnisse wurden von der Politik nicht genutzt und umgesetzt.

Was sind die politischen Herausforderungen?

Da gibt es mehrere Ebenen, hier einige Beispiele:
Viele politische Entscheidungen waren und sind für die Agrar- und Ernährungswirtschaft fachlich nicht schlüssig. D.h. es hat oftmals keine Abschätzung zu sozialen und wirtschaftlichen Folgen oder einer Umsetzbarkeit stattgefunden. Dies bedeutet, dass politische Ziele nicht bis zum Ende durchdacht wurden, da zentrale Akteure nicht einbezogen waren (Beispiel: Umbau der Landwirtschaft zu Offenstallsystemen, die aufgrund der möglichen Emissionen keine Umbaugenehmigung von der kommunalen Verwaltung erhalten).
Politische Versprechen wurden nicht eingehalten, da Politik in Legislaturperioden funktioniert und nicht in langfristigen unternehmerischen und/oder landwirtschaftlichen Abläufen. Hinzu kommt, dass EU- und Bundespolitik oftmals nicht harmoniert: viele EU-Gesetze und Verordnungen wurden auf Bundesebene zusätzlich verschärft, d.h. für Deutschland gelten ehrgeizigere Ziele als für die anderen EU-Mitgliedsstaaten. So entsteht ein Wettbewerbsnachteil für Betriebe und Unternehmen, die am internationalen Markt ihre Produkte vertreiben.
Das führte insgesamt zu großen Enttäuschungen. Im Zusammenhang mit Zukunftsunsicherheit und existenziellen Sorgen sind die emotionsgeladenen Proteste verständlich.

Was sind die größten gesellschaftlichen Herausforderungen im Agrar- und Ernährungssektor aktuell?

Wir haben mehrere Zielkonflikte: Die Verbraucher fordern sehr hohe Standards, wollen aber günstig einkaufen, auch sie spüren die gestiegenen Kosten, die Inflation und sind sehr preissensibel. Die Landwirt:innen fühlen sich wenig wertgeschätzt. Ihre Betriebe und ihre Produkte sind zwar systemrelevant, was aber nur in Krisenzeiten deutlich wird. In der Energiekrise und im Ukrainekrieg wurde und wird sehr augenfällig, wie wichtig Ernährungssicherheit ist. Dies bedeutet, dass wir unsere Lebensmittel zu einem gewissen Anteil im eigenen Land produzieren und nicht zu stark von anderen Ländern abhängig sind.
Wirtschaftlich diktieren die Supermärkte den Preis für Lebensmittel und durch den internationalen Handel wird der Preisdruck verstärkt. Eine einheitliche und durchgehende Herkunftskennzeichnung fehlt außerdem.

Was muss auf Landwirtschaftsseite getan werden?

Auch hier ist definitiv noch Luft nach oben, wie bei allen anderen Wirtschaftssektoren auch. Wir müssen noch effizienter werden, noch mehr in Kreisläufen denken, unsere Böden nachhaltiger nutzen und lernen, wie wir zwischen Dürre und hohen Niederschlagsmengen eine widerstandsfähige Landwirtschaft entwickeln. Gleichzeitig muss sich Landwirtschaft auch auf die Ernährung von morgen einstellen, braucht neue Geschäftsmodelle und -kooperationen. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft der einzige Wirtschaftssektor, der beim Wirtschaften CO2 speichern, d.h. aktiv Klimaschutz betreiben kann. Dafür braucht es Anreize statt Auflagen und vor allem Freiheiten für betriebsindividuelle Wege.

Was darf jetzt auf keinen Fall passieren?

Das größte Risiko für Deutschland wäre es, wenn wir heimische Landwirt:innen und damit unsere Ernährungsbasis verlieren. So verlagern wir das Problem in deutlich schlechtere Produktionsbedingungen und unsere internationalen Abhängigkeiten würden steigen.

Vielen Dank für das Interview.

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