Stephan, du hast nach 25 Jahren als Journalist den Schritt vom Beobachter zum Mitgestalter gewählt und bist zum BRS gegangen. Was reizt dich an Deiner neuen Aufgabe beim BRS, besonders im Hinblick auf die Versorgungssicherheit in Deutschland?
Wie schon richtig gesagt, ist es der Wechsel vom passiven in das aktive Gestalten, das mich gereizt hat. Ich habe mich seit langem (auch als selbst praktizierender Landwirt) gefragt, warum die Rahmenbedingungen, die die Gesellschaft und insbesondere die Politik für die Landwirtschaft im Allgemeinen aber die Nutztierhaltung im Besonderen gestalten möchten, häufig an der realistischen Umsetzbarkeit und der Akzeptanz der Landwirte scheitert. Warum mit jeder neuen gesetzlichen Zielsetzung, die ja in der Regel ehrbare Ziele wie Tierschutz, Klimaschutz oder Umweltschutz beinhalten, die Landwirte eher ans Aufhören denken und die Lust an der Landwirtschaft abnimmt. Ich habe mich gefragt, warum insbesondere das Image der Nutztierhalter in der Gesellschaft, in den Medien und auch in der Politik so konträr zur wahren Bedeutung in Punkto Ernährung und Ernährungssicherheit hier in Deutschland verläuft. Mein Eindruck ist, dass viele dieser grotesken Entwicklungen damit zusammenhängen, dass wir im Umgang mit Medien und der Politik, aber auch gegenüber ideologisch andersdenkender Verbraucher, Organisationen und teilweise auch Berufskollegen nicht gut sind. Wir sollten eine andere Sprache einschlagen und etwas gelassener werden. Wir müssen der Politik mit mehr Selbstbewusstsein gegenübertreten und unsere Leistungen, aber auch den Willen, noch besser werden zu wollen, hervorheben. Wir sollten akzeptieren, dass es andere Philosophien außerhalb, aber auch innerhalb der Landwirtschaft gibt. Es macht keinen Sinn, sich gegenseitig zu diffamieren. Der Gut gegen Böse-Diskussion müssen wir uns nicht stellen, die Realität im Verbraucherverhalten ist ja auf Seiten der Nutztierhalter. 95% der Bevölkerung ernähren sich nicht vegan oder vegetarisch.
Du kennst die Branche seit Jahrzehnten. Wie hat sich aus deiner Sicht die Bedeutung der Tierhaltung für die Ernährungssicherheit in Deutschland verändert?
Die Bedeutung der Tierhaltung ist und bleibt die gleiche wie eh und je. Der Fleischkonsum nimmt zwar in Deutschland leicht ab, der Konsum von Milchprodukten steigt. Global gesehen steigt der Konsum von Fleisch und Milch weiter an. Das ist ein realistisches Szenario, das die Bedeutung der Nutztierhaltung der Zukunft beschreibt. Schauen wir also positiv in die Zukunft und erklären den Menschen, dass wir einen großen Teil der nationalen (25%) und einen riesigen Anteil (73%) der global zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Fläche nur über Nutztiere für eine humane Ernährung nutzbar machen können. Überall dort, wo wir keinen Ackerbau betreiben können, benötigen wir Nutztiere, um das wertvolle Land zu nutzen. Gleichzeitig kann im Ackerbau, dort wo in der Verarbeitung pflanzlicher Agrarprodukte zu Lebensmitteln Neben- oder Koppelprodukte entstehen, diese als hochwertiges Futtermittel für Nutztiere nutzbar machen. Dadurch werden Ressourcen geschont. Ohne Nutztiere wäre die heutige Effizienz der Ernährung kaum möglich. Über den Beitrag zum Erhalt von Biodiversität haben wir da noch gar nicht gesprochen.
Wie wichtig ist die Tierhaltung für eine stabile und eigenständige Lebensmittelversorgung in Deutschland? Was passiert, wenn die tierische Erzeugung hierzulande weiter abnimmt – welche Folgen hätte das für unsere Versorgungssicherheit?
Wie gesagt, wir brauchen die Tierhaltung nicht einfach so zur Produktion von Fleisch und Milchprodukten, weil wir diese gerne konsumieren. Tierhaltung bringt uns überhaupt erst in die Situation, einen großen Teil unserer für die Ernährung zur Verfügung stehenden Fläche nutzbar zu machen. Würden wir diese Ressourcen nicht nutzen, wäre eine autarke Ernährung unserer Gesellschaft dauerhaft kaum möglich.
Gibt es Entwicklungen oder Zahlen, bei denen du sagst: Das macht mir Sorgen, wenn ich an unsere Selbstversorgungsquote denke?
Nein, alle Statistiken, die ich in Punkto Verbraucherverhalten kenne, zeigen mir, dass Produkte aus der Nutztierhaltung auch in Zukunft gefragt bleiben. Und Nutztierhalter produzieren eben ganz einfach für einen Markt, der in Zukunft relativ stabile Absatzmöglichkeiten bietet. Also produzieren sie, insofern sie daran aufgrund gesetzlicher Hürden nicht gehindert werden, genau dafür. Gleichzeitig aber arbeiten sie auch ohne gesetzlichen Druck daran, unter immer besseren Tierwohlstandards zu produzieren und die Belastung für Klima und Umwelt weiter zu minimieren. Das Einzige, was mich wirklich stört, ist die durch öffentliche Diskussionen suggerierte und von der Politik übernommene Ungeduld, dass die Nutztierhalter diese Ziele nicht schnell genug erreichen. Die Politik reagiert mit der Gestaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen, die ganz simpel gesagt, unter realen Bedingungen häufig nicht umsetzbar sind. Wir kennen solche Entwicklungen ja auch aus anderen Wirtschaftsbereichen wie uns Beispiele wie das Heizungsgesetz oder der Umstieg auf E-Mobilität zeigen. Das sind alles gute Ideen, aber sie sind unter den gesetzlichen Vorgaben kaum realisierbar. Und ich bin mir sicher, dass das der überwiegende Teil der Verbraucher, auch wenn er sich öffentlich oft anders äußert, genauso sieht. Sonst würde er sich beim Einkauf anders verhalten.
Deutschland ist stark in globale Agrarmärkte eingebunden. Wo siehst du aktuell die größten Abhängigkeiten für die Tierhaltung?
Ich denke, wir haben keine direkte Abhängigkeit der Tierhaltung, wir können uns völlig autark mit tierischen Produkten ernähren. Wenn wir vielleicht etwas weniger selektiv einkaufen und uns beispielsweise beim Verzehr von Fleisch nicht immer nur auf die besten Teilstücke konzentrieren würden, wäre es noch besser. Wenn wir Nachhaltigkeit von der Landwirtschaft fordern, sollten wir uns auch beim Einkauf etwas nachhaltiger verhalten. Aber wir leben in einer freien Gesellschaft und die Landwirtschaft sollte es vermeiden, dem Verbraucher zu sagen, was er essen soll. Diese teilweise befremdlich dogmatische Aufgabe übernehmen andere und man kann erkennen, dass diese Herangehensweise nicht wirklich erfolgreich ist. Das Essverhalten hat sich in den vergangenen Jahren weniger geändert, als wir es aufgrund der öffentlichen Diskussion vermuten würden. Ich blicke aber auch deshalb ziemlich entspannt in die Zukunft, weil auch ein sich radikal änderndes Essverhalten ohne Landwirtschaft nicht umsetzbar ist und die Tierhaltung dabei immer eine Rolle spielen wird.
Welche Lehren hat die Branche aus Krisen wie Corona, dem Ukrainekrieg oder Tierseuchen gezogen, wenn es um Eigenversorgung und Resilienz geht?
Die Frage ist, ob die Branche eine Lehre aus den globalen Krisen der letzten Jahre ziehen muss oder dann doch eher unsere Gesellschaft und die Politik. Die einzige Lehre, die ich aus den Krisen der näheren Vergangenheit und Gegenwart ziehe, ist diejenige, dass ich mehr Vertrauen für unsere Landwirtschaft aufbringen würde. Ich würde mich stärker mit unseren Bauern identifizieren und ja, ich wäre wahrscheinlich auch ziemlich stolz darauf, in einem Industrieland zu leben, dass sich eines der höchsten Umwelt-, Tier- und Klimaschutzstandards der Welt leisten kann, trotzdem noch versucht, dabei immer besser zu werden und sich ganz nebenbei in vielen Bereichen autark ernähren kann.
Welche politischen Entscheidungen der letzten Jahre haben die Versorgungssicherheit am stärksten beeinflusst – im positiven wie im negativen Sinn?
Fangen wir mit dem Positiven an und da fällt es mir leider wirklich schwer, irgendeine Entscheidung nennen zu können. Der Strukturwandel auf den Höfen ist ungebremst. Das ist nicht gut, nicht gut für die Branche und nicht gut für unsere Ernährungssicherheit. Im negativen Sinne könnte ich jetzt über etliche Punkte referieren, aber es ist sinnvoller, in die Zukunft als in die Vergangenheit zu schauen. Welche Entscheidungen also sollten wir treffen, um unsere Ernährungssicherheit der Zukunft zu sichern? Ich glaube, als erstes sollten wir die Bedeutung von Ernährungssicherheit und Autarkie in unsere gesellschaftlichen Debatten tragen und Landwirtschaft wieder als etwas Positives wahrnehmen. Die Gesellschaft und die Politik dürfen und sollen Ihre Ansprüche an die Landwirtschaft richten, aber Ansprüche müssen umsetzbar sein und sie müssen als Grundlage den realen Situationen entsprechen. Ernährungssicherheit muss ins Grundgesetz aufgenommen werden. Nur dann hat die Landwirtschaft eine Chance, mit Rahmenbedingungen konfrontiert zu werden, die nicht zu einem weiteren Sterben der Höfe beiträgt. Natürlich könnte ich mich jetzt hier über das Tierschutzgesetz, über die Tiertransportverordnung, über Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung, über das Baugesetzbuch, GAP28, den Umgang mit neuen Züchtungsmethoden und vieles mehr äußern, aber nur wenn unsere Gesellschaft bereit ist, Ernährungssicherheit einzufordern, werden diese Punkte so angepackt, dass sie die Branche nicht überfordern und unsere Höfe überleben.
Wie können Landwirtinnen und Landwirte langfristig überleben, wenn sie gleichzeitig höhere Auflagen erfüllen und mit sinkenden Tierzahlen zurechtkommen müssen?
Das kann man kurz beantworten. Das gelingt nur dann, wenn wir unsere hohen Ansprüche, die wir an landwirtschaftliche Produkte haben, gesetzlich schützen. An der Ladentheke muss Chancengleichheit herrschen, Importe auf Basis niedrigerer Standards müssen über höhere Abgaben abgestraft werden oder wir verschaffen uns einheitliche, vergleichbare und auch vergleichbar überprüfbare Standards bei allen Produkten, die wir heimisch erzeugen und importieren. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass wir im letztgenannten Punkt jemals eine Situation erreichen, bei der genau das Realität sein wird.
Wie kann die Branche besser zeigen, dass Tierhaltung Teil der Lösung ist – etwa für nachhaltige Kreisläufe, regionale Wertschöpfung und Ernährungssicherheit?

Wie gesagt, ich glaube der Schlüssel liegt in unserer Kommunikation nach außen. Wir brauchen ein paar Galionsfiguren, die den positiven Wert der Landwirtschaft glaubhaft und modern in die gesellschaftlichen Debatten, in Talkshows und in die Politik tragen können. Leute, die in der Lage sind, der Diskussion mit anderen Philosophien und Ideologien gelassen zu begegnen. Die nicht davon reden, wer und was für das Gute und sicher auch manchmal für das nicht so Gute an der Landwirtschaft und der Tierhaltung verantwortlich ist, sondern ein realistisches Bild der Zukunft beschreiben, wie wir als Branche unseren positiven Beitrag für die Zukunft der Gesellschaft leisten. Unsere Branche kommuniziert viel mit sich selbst, aber zu wenig oder nicht effizient und gut genug nach außen. Wir müssen nicht dem letzten Verbraucher erklären, was und wie wir etwas produzieren. Es wollen nur wenige wissen. Es muss darum gehen, grundsätzlich dafür zu sorgen, dass wir Landwirtschaft und Nutztierhaltung mit etwas Positivem assoziieren.
Welche Themen oder Veränderungen möchtest du persönlich beim BRS anstoßen, um diese Zukunft mitzugestalten?
Ich versuche, diese Sichtweise und Rhetorik in unsere Kommunikation mit unseren Mitgliedern, mit Behörden, Ministerien und allen gesellschaftlichen und politischen Gruppen, mit denen wir tagtäglich zu tun haben, zu integrieren. Ich denke, die beschriebene Herangehensweise sorgt dafür, dass die fachliche Kompetenz, die wir in unserem jungen Team zweifellos haben, mehr Einfluss bekommt und wir bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen für unsere Branche dadurch mehr positive Akzente setzen können.
Vielen Dank für das Interview!