Pia, was hat dich dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen Moment, in dem dir klar wurde: Die Geschichten von landwirtschaftlichen Familienbetrieben müssen erzählt werden?
Pia: Es gab nicht den einen entscheidenden Moment, sondern viele Impulse. Mir wurde mit der Zeit immer bewusster, wie stark unsere Gesellschaft von einer urbanen Sichtweise geprägt ist und wie wenig Menschen heute noch einen direkten Bezug zur Landwirtschaft haben. Dadurch geht viel Wissen darüber verloren, wie unsere Lebensmittel überhaupt entstehen. In Gesprächen mit Menschen außerhalb der landwirtschaftlichen Branche habe ich oft gemerkt, dass Entscheidungen landwirtschaftlicher Betriebe kaum nachvollzogen werden konnten, einfach weil das Verständnis für die Lebensrealität auf den Höfen fehlt.
Genau das wollten wir ändern. Mir ist wichtig, dass die Menschen hinter den Zahlen sichtbar werden, mit all ihren Hoffnungen, Sorgen und alltäglichen Herausforderungen. Durch persönliche Begegnungen, Gespräche vor Ort und den offenen Dialog mit den Protagonist*innen wurde mir klar: Diese Geschichten müssen erzählt werden, authentisch und aus der Nähe.
Kim, du kommst aus der Film- und Bildwelt. Warum war es dir wichtig, das Buch nicht nur mit Text, sondern auch visuell zu gestalten?
Kim: Weil Bilder Geschichten auf eine besondere Weise erzählen. Ergänzende visuelle Eindrücke geben neben dem Text eine Atmosphäre und transportieren Gefühle. Sie vermitteln Nähe. Oft sind sie emotional schneller zugänglich als lange Erklärungen. Mit Fotos, Eindrücken aus Gesprächen vor Ort und kurzen Filmsequenzen (Filmclips) wollten wir ein unmittelbares, greifbares Bild der Lebenswelt in der Landwirtschaft vermitteln. So wird das Buch nicht nur gelesen, sondern auch erlebt. Die Lesenden tauchen direkt in den Alltag der Protagonist*innen ein.
Wie habt ihr entschieden, welche Höfe ihr porträtiert? Ging es euch eher um Vielfalt oder um bestimmte Themen? Ist euch beim Besuch der Höfe etwas aufgefallen, das ihr so nicht erwartet hättet?
Die Landwirtschaft in Deutschland ist sehr vielfältig. Genau das wollten wir in unserem Buch sichtbar machen. Bei der Auswahl der Höfe war uns wichtig, unterschiedliche Ausrichtungen, Betriebsgrößen und Produktschwerpunkte abzubilden, von Obst- und Gemüsebau bis hin zur Tierhaltung, verteilt über verschiedene Regionen. Eine eindeutige Auswahl zu treffen war gar nicht so leicht, aber wir wollten einen Querschnitt schaffen, der zeigt, wie facettenreich die Lebensmittelproduktion heute ist.
Trotz aller Unterschiede suchten wir nach einem roten Faden, nach Gemeinsamkeiten, die die Betriebe verbinden. Wir fanden ihn im Mut, sich weiterzuentwickeln, Verantwortung zu übernehmen und den eigenen Weg zwischen Tradition und Wandel zu finden. So fiel die Wahl auf Familienbetriebe, die sich spezialisiert haben und sich in den letzten Jahren stark verändert haben.
Überrascht hat uns, wie groß der Druck tatsächlich ist. Viele stehen unter Druck, sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. Gleichzeitig war spürbar, mit wie viel Nachdenklichkeit, Engagement und Innovationsgeist die Landwirt:innen ihren Alltag gestalten. Diese Mischung aus Belastung und Fortschrittswillen hat uns sehr beeindruckt.
Welche Sorgen oder Belastungen begegnen euch in den Gesprächen am häufigsten – abseits von Wetter und Preisen?
Ein Thema, das immer wieder auftaucht, ist die Hofnachfolge. Sie ist oft mit vielen Emotionen verbunden. Es gibt Fragen nach Verantwortung, Identität und Zukunft. Viele erzählen, wie sich ihre Betriebe über Generationen verändert haben, nicht nur in Größe und Technik, sondern auch im Selbstverständnis. Früher galt es als gesetzt, dass ein Kind den Hof übernimmt. Heute steht viel stärker der Wunsch im Vordergrund, dass die nächste Generation ihren eigenen Weg findet. Die Zukunft ist offener geworden, und genau das beschäftigt viele Familien sehr. Gleichzeitig spüren viele eine wachsende Unsicherheit, besonders mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen. Entscheidungen aus der Politik haben direkten Einfluss auf das Leben und die Planung auf den Höfen und das macht die Zukunft für viele schwerer einschätzbar. Diese Mischung aus persönlicher Verantwortung und struktureller Unsicherheit prägt die Familien sehr.
Wie gehen die Betriebe mit dem Druck von außen um, zum Beispiel mit Kritik an Tierhaltung oder Pflanzenschutz?
Der Umgang mit Druck von außen ist sehr unterschiedlich. Viele Betriebe empfinden politische Auflagen als belastend, doch der stärkste Druck entsteht oft durch gesellschaftliche Kritik, besonders bei den Themen Tierhaltung oder Pflanzenschutz.
Bei Hendrik in der Schweinehaltung wird deutlich, wie sehr Anerkennung und Wertschätzung für den Beruf zählen. Er erlebt, dass sich das gesellschaftliche Bild von Landwirt*innen verändert hat und dass Kritik von Spaziergängern oder aus den Medien emotional sehr belastend sein kann. Marcel wiederum zeigt im Umgang mit Pflanzenschutz, wie wichtig Differenzierung ist. Pauschale Urteile helfen nicht weiter, denn ökologische Herausforderungen sind komplex und brauchen situationsgerechte Lösungen.
Viele unserer Protagonist*innen setzten sich zudem selbst stark unter Druck, um ihren Hof zu erhalten und zukunftsfähig zu gestalten. Dieser innere Antrieb kann anstrengend sein, führt aber auch zu einem positiven Diskurs über Digitalisierung, Nachhaltigkeit und neue Wege, Landwirtschaft verantwortungsvoll weiterzuentwickeln.
Was habt ihr über Hofübergaben gelernt – wo liegen Stolpersteine, wo Chancen? Wie wirkt sich das Familienleben auf Alltag und Entscheidungen aus?
Der Hof ist oft untrennbar mit der Familie verbunden. Ohne Familie gäbe es den Hof in dieser Form kaum. Gemeinsames Arbeiten, gemeinsames Essen, das ständige Miteinander prägen den Alltag. Kinder wachsen früh in die Abläufe hinein und übernehmen Verantwortung, lange bevor sie es vielleicht bewusst merken.
Heute wirken jedoch viele neue Faktoren auf die Entscheidungen der Familien ein. Der Wunsch nach beruflicher Erfüllung, wirtschaftliche Unsicherheiten und wechselnde politische Rahmenbedingungen beeinflussen Investitionen und Ausbildungswege stärker als früher. Die Idee, dass mehrere Generationen sich gegenseitig selbstverständlich unterstützen, wird zwar oft noch betont, ist aber längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Gleichzeitig liegen genau darin auch Chancen. Es entstehen neue Rollenbilder, Aufgaben werden neu verteilt, und manche Familien entdecken so Wege, den Hof gemeinschaftlich, aber mit mehr Freiraum für alle weiterzuführen.
Für wen habt ihr das Buch geschrieben – Landwirt:innen, Verbraucher:innen, Politik oder alle zusammen? Glaubt ihr, dass Bücher wie Eures Brücken bauen können zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft?

Das Buch richtet sich an Menschen, die einen Einblick bekommen wollen, wo und wie unsere Lebensmittel hergestellt werden. Für Menschen, die gerne essen und kochen, aber auch für Landwirt:innen, Verbraucher:innen und Menschen aus der Politik. Es ist leicht lesbar und bietet gleichzeitig Einblicke in die Praktiken der heutigen Landwirtschaft. Es folgt den Menschen auf den Höfen, wirkt wie eine spannende Geschichte und lädt dazu ein, die Lebensmittelproduktion besser zu verstehen. Das Buch bietet auch konkrete, fachbezogene Einsichten, Entwicklungen und Lösungen.
Es spricht Menschen an, die besser verstehen wollen, wie Landwirtschaft im Spannungsfeld von Tierwohl, Klimaschutz, Ernährungssicherheit und wirtschaftlichen Zwängen funktioniert und sich weiterentwickelt hat. Gedacht ist es für alle mit echtem Interesse an den Menschen hinter unseren Lebensmitteln. Für diejenigen, die bereit sind zuzuhören, Zusammenhänge zu verstehen und vielleicht auch den Dialog suchen, um gemeinsam an der Zukunft der Landwirtschaft mitzuwirken.
Ja, wir möchten durch unser Buch eine Brücke bauen. Unsere unterschiedlichen Perspektiven verbinden Wissenschaft, Film und Literatur. Dadurch entsteht ein vielschichtiger und lebendiger Blick auf die Menschen und ihre Arbeit in der Landwirtschaft.
Arbeitet ihr schon am nächsten Projekt? Wenn ja, worum geht es?
Ja, wir haben schon Ideen – Details verraten wir später. Gerne kann man uns auf LinkedIn und Insta folgen, um auf dem Laufenden zu bleiben.
Und zum Abschluss: Welche drei Botschaften möchtet ihr mit dem Buch mitgeben?
1. Landwirtschaft braucht Verständnis und Nähe.
Die Geschichten der Höfe verdeutlichen die enge Verbindung zwischen Stadt und Land über unsere Lebensmittel und machen deutlich, wie wichtig es ist, diese Verbindung wieder bewusster wahrzunehmen. Nur wer die Lebensrealität der Betriebe kennt, kann die dort getroffenen Entscheidungen nachvollziehen.
2. Zukunft braucht Verlässlichkeit und Vielfalt.
Nachhaltiges Wirtschaften gelingt nur, wenn ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte zusammengedacht werden und politische Rahmenbedingungen Stabilität schaffen. Die Vielfalt der Betriebe, ihre Innovationskraft und ihr Mut zur Veränderung sind entscheidend für die Zukunft der Landwirtschaft.
3. Wandel braucht Dialog und Wertschätzung.
Viele Missverständnisse entstehen durch Distanz. Ein offener, respektvoller Austausch kann Brücken schlagen zwischen Landwirt:innen und Gesellschaft sowie zwischen Tradition und Moderne. Nur so lassen sich gemeinsame, tragfähige Lösungen für die Zukunft entwickeln.
Vielen Dank für das Interview!